Berlin. Im Grunewald versteckt befindet sich das alte Modell der Avus-Südkurve. Die wichtigsten Infos zu dem mysteriösen Bauwerk.
Seit mehr als 80 Jahren schlummern tief im Grunewald die Überreste eines einstigen Prestige-Projekts: das moosbedeckte Beton-Modell der nie gebauten Südschleife der legendären Avus-Rennstrecke, jener Berliner Ikone, in der seit den 1930er-Jahren ein Geschwindigkeitsrekord nach dem anderen gebrochen wurde. Im Krieg fehlten die Mittel, die Steilkurve zu realisieren – und nach 1945 in der geteilten Stadt Berlin auch der Wille, die gefährliche Avus weiter zu verlängern. Längst hatte das US-Militär den Standort im Forst des Grunewalds für sich beansprucht und zur Sperrzone erklärt. Erfahren Sie hier alle wichtigen Infos zu dem Lost Place im Wald.
Das sind die Fakten zum Avus-Modell der Südkurve im Überblick:
- Adresse: Zwischen Havelchaussee und A115, 14193 Berlin-Nikolassee im Bezirk Steglitz-Zehlendorf
- Geschichte: 1940 Sperrung der ursprünglichen Südkehre an der Spanischen Allee; seit Ende der 1930er-Jahre Pläne für eine Steilkurve an der Südspitze auf der Höhe nördlich des Schlachtensees; Bau eines Modells im Maßstab 1:100 und erste Erdarbeiten für die Errichtung der Steilkurve im Forst Grunewald; Aufgabe der Pläne während des Krieges, das Avus-Modell wird zum Lost Place
- Führungen: Keine
- Denkmalschutz: Nein
- Status: Lost Place
Wo liegt das Avus-Modell genau?
Das Modell der Avus-Südkurve befindet sich im Grunewald nördlich des Schlachtensees im Waldgebiet zwischen der Havelchaussee und der A115 im Ortsteil Nikolassee des Bezirks Steglitz-Zehlendorf. Die Google-Koordinaten (Open-Location-Code) für das Objekt lauten C6V2+6H Berlin. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht man den Ort am besten mit der Buslinie 218 (Haltestelle Kronprinzessinnenweg/Havelchaussee). Von der Haltestelle aus sind es etwa 150 Meter in nordöstlicher Richtung bis zu dem Modell.
Das sind die wichtigsten Etappen der Geschichte des Avus-Modells:
Ausgangslage: Förderung der deutschen Automobilindustrie
Anfang des 20. Jahrhunderts fuhren deutsche Rennfahrer ihrer internationalen Konkurrenz gnadenlos hinterher: Frankreich, Großbritannien, Italien und die USA dominierten das Geschehen. Gegen die hochgerüsteten Boliden aus dem Ausland hatte die heimische Industrie keine Chance. Das sollte sich schleunigst ändern. Motiviert durch einen Misserfolg nach dem anderen wurde im Jahr 1909 die Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße GmbH gegründet. Das Ziel: die Wettbewerbsfähigkeit der rückständigen deutschen Automobilindustrie zu fördern.
Dafür wurde im Südwesten Berlins entlang der Wetzlarer Bahn von Charlottenburg nach Nikolassee eine ausdrücklich nur für Autos zugelassene Straße gebaut – ein Novum. Die Bauarbeiten begannen 1913. Unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg wurde die Avus (Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße) 1921 als erste ausschließliche Autostraße der Welt feierlich eröffnet.
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Avus-Modell der Südkurve: Auf der Jagd nach Geschwindigkeitsrekorden
Die pro Fahrbahnseite gut neun Kilometer – als Gesamtrunde rund 19 Kilometer – lange Strecke diente bis zum Autobahnanschluss 1940 als gebührenpflichtige Renn- und Teststrecke. Gegen eine Maut konnten Autofahrer die Avus auch privat nutzen: Ein einmaliges Durchfahren kostete die damals stattliche Summe von zehn Mark, eine Vierteljahreskarte kostete 1000 Mark.
Die Avus verband in ihrem Ursprungslayout das heutige Messegelände in der Nähe des Stadtteils Charlottenburg und den Nikolassee mit zwei Fast-Geraden sowie einer Nord- und einer Südschleife. Von Anfang an trafen vor allem zwei Attribute auf die Rennstrecke zu: schnell und gefährlich. 1921 gewann Fritz von Opel das erste Autorennen auf der Strecke mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von fast 130 km/h.
1937 sollten die schnellsten Rennautos auf der angepassten Strecke Spitzengeschwindigkeiten von fast 400 Kilometer pro Stunde erreichen und im Schnitt mehr als 270 km/h – ein Wert, der erst Jahrzehnte später beim Indy 500 übertroffen werden sollte. Um die Geschwindigkeit der Berliner Rennen immer weiter zu erhöhen, waren verschiedene Anpassungen der Strecke notwendig geworden.
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Avus-Modell der Südkurve: Anpassungen der Rennstrecke
Der ursprüngliche Makadam-Teer-Belag wurde durch eine Deckschicht aus Asphalt ersetzt und diese in den 1920er- und 1930er-Jahren laufend verbessert, um die steigenden Belastungen durch immer schnellere Rennwagen verkraften zu können. Die alte Nordkurve wurde 1937 durch eine 43,6 Grad geneigte gemauerte Steilkurve ersetzt – genauso geliebt wie gefürchtet. An der Nordschleife entstand außerdem der heute als Motel genutzte Zielrichterturm und die heute noch vorhandene Avus-Zuschauertribüne an der A115.
Auch an der Südkehre gab es Veränderungen: Ursprünglich befand sich die im Vergleich zur Nordkurve engere Schleife an der heutigen Spanischen Allee nördlich des S-Bahnhofs Nikolassee. Zuschauer verfolgten das Rennen von heute nicht mehr existenten Tribünen am Kronprinzessinnenweg. Mit der Anbindung der Strecke an den Berliner Ring wurde die Südkurve gesperrt und später überbaut. Ersatzweise wurde nun die am Hüttenweg gelegene Kurve, die man für Motorradrennen nutzte, zum südlichen Wendepunkt. Die Strecke hatte sich damit um mehr als die Hälfte auf 8,3 Kilometer Länge verkürzt.
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Avus-Modell der Südkurve: Eine neue südliche Wende wurde geplant
Um die Strecke wieder zu verlängern und sie mit einer ebenso spektakulären Attraktion wie im Norden auszustatten, gab es ab Ende der 1930er-Jahre den Plan, eine Steilkurve mitten in den Grunewald zu setzen. Die nie fertiggestellte Südschleife sollte spiegelsymmetrisch zur Nordschleife liegen und diese – wie könnte es im Nationalsozialismus anders ein – in ihren Dimensionen noch übertreffen. Ein größerer Kurvenradius sollte größere Durchfahrgeschwindigkeiten der gefeierten Mercedes-Benz-Silberpfeile ermöglichen und dem Publikum die Überlegenheit deutscher Ingenieurskunst vor Augen führen.
Bevor es aber mit den Erdarbeiten im heutigen Landschaftsschutzgebiet losgehen konnte, fertigten die Planer ein Modell für die projektierte Südkehre im Maßstab 1:100 an. Die Betonplatten wurden rund 200 Meter südlich des geplanten Scheitelpunkts der Südkurve in den Waldboden eingelassen. Die Ausdehnung der Kurve en miniature im Waldstück zwischen A115 und Havelchaussee umfasst etwa 25 Meter in der Länge und knapp drei Meter Breite in der Kurve.
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Avus-Modell der Südkurve: Lost Place nach dem Zweiten Weltkrieg
Nördlich des Modells begannen 1940 die ersten Aushubarbeiten für die neue Südschleife. Der Wald wurde gerodet und die Erde auf einer Breite von mehr als 200 Metern zu einem hufeisenförmigen Wall aufgeschüttet. Nun war die Vorbereitung für die Errichtung der neuen Steilkurve abgeschlossen und die Arbeiten an der Strecke hätten beginnen können, doch der Zweite Weltkrieg machte den ambitionierten Plänen im Forst des Grunewalds ein jähes Ende. Die Arbeiten wurden abgebrochen – und nie wiederaufgenommen. Über das Modell der Südschleife begannen Pflanzen und Moos zu ranken, tief im Wald versteckt erregte es nur noch die Aufmerksamkeit verirrter Wanderer und der Waldtiere. Bald war es nur noch Eingeweihten bekannt.
Seit mehr als 80 Jahren zeugt das Avus-Modell von einer Zukunft, die nie eintraf. Heute kann auf der rauen Oberfläche der bemoosten Betonplatten, die teils von Wurzelwerk gesprengt und von der Witterung angegriffen wurden, nicht einmal mehr zu Demonstrationszwecken ein Rennen mit elektrischen Spielzeugautos ausgetragen werden. Wer den genauen Standort nicht kennt, dürfte Probleme haben, das Südkurvenmodell im Unterholz des Grunewalds überhaupt ausfindig zu machen. Nach Auffassung der Senatsverwaltung hat es keinen Denkmalwert und wird daher weder erhalten, noch besonders gekennzeichnet.
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Avus-Modell der Südkurve: Südkurvenbaustelle wird zur US-Shooting-Range
Ein größerer Erfolg bei der Nachnutzung war dem für die Südkurve aufgeschichteten Erdwall nördlich des Modells beschieden. In der Nachkriegszeit wurde das etwa 25 Hektar große Areal von den US-Alliierten als Schieß- und Übungsplatz ausgebaut und trug den Namen „Keerans Range“ nach General Charles J. Keerans jr. Der künstliche Erdwall für die überhöhte Kurve diente der US-Armee als Teil des Kugelfangs – und der war bitter nötig, denn immer wieder trafen verirrte Querschläger Badegäste im knapp zwei Kilometer entfernten Strandbad Wannsee.
Mal trafen Kugeln die Dienstwohnung eines Badangestellten, mal wurden die Badegäste getroffen: Im Juli 1951 wurde ein Badegast durch einen Steckschuss in der Schulter verletzt; im August 1952 ein siebenjähriges Mädchen beim Baden in den Hals getroffen und 1955 erlitt eine Frau im Strandbad einen Leberschuss. In der Folge wurden die Unterstände ausgebaut und der Schießplatz durch einen Kugelfangzaun und mehrere Betonblenden für 657.000 DM gesichert.
Maschinengewehr-Training, Nachtübungen, Panzermanöver: Bis 1994 wurde der Schießplatz aktiv genutzt – die lärmgeplagten Anwohner werden sich erinnern. Nach dem Abzug der US-Armee wurden die Spuren des Übungsplatzes beseitigt, die Munition geräumt, der Sand gesiebt und die Betonbauten entfernt. Heute verrät nur noch eine Rodung den ehemaligen Standort und natürlich der Avus-Erdwall.
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Avus-Modell der Südkurve: Und wie ging es mit der Rennstrecke weiter?
Nach dem Krieg gab es seit 1951 wieder Rennen auf der Avus. An einen Ausbau war in der geteilten Stadt aber nicht mehr zu denken. Auch die Anforderungen hatten sich verändert: Der Trend ging zu kurvenreicheren Strecken. Eine erneute Verlängerung der schnurgeraden Avus-Strecke war kein Thema mehr. Die überhöhte Nordkurve erwies sich weiterhin als Gefahr und Ursache von zahlreichen spektakulären Unfällen, von denen einige tödlich endeten. Zwischen 1926 bis 1995 starben bei Avus-Rennen acht Fahrer, darunter drei Motorradfahrer und vier Streckenposten.
1959 wurde auf der Avus der Große Preis von Deutschland ausgetragen. Das Rennen stand im Zeichen des Kalten Krieges: Besucher aus Ost-Berlin konnten ihre Eintrittskarten mit DDR-Mark bezahlen. Im Sportwagenrennen starb der Vorjahressieger Jean Behra, als sein Porsche im Regen über den äußeren Rand der Steilwandkurve schoss. Damit war die große Zeit der Grand-Prix-Rennen in Berlin vorbei. 1967 wurde die überhöhte Nordkurve abgetragen und die Rennen begannen ihre Attraktivität zu verlieren.
Seit 1975 wurde die Strecke nur noch zwei Mal pro Jahr für Motorsport-Veranstaltungen genutzt und 1989 noch einmal auf 4,8 Kilometer verkürzt. Bis 1998 fuhr die DTC noch in der Hauptstadt, dann wurde der Rennbetrieb auf den Straßen Berlins endgültig eingestellt.