Berlin. An der Beymestraße gibt es ein verwildertes Grundstück. Was hat es mit der Villa Hinderer auf sich? Die wichtigsten Infos.

In der Beymestraße 16 in Steglitz befindet sich ein seit Jahren verwildertes Grundstück. Auf dem Gelände ragen noch Mauerreste auf, die die Umrisse einer ehemals stolzen Villa erahnen lassen. Um die Ruine rankt Wildwuchs: Wucherndes Gestrüpp, Büsche und Bäume versperren Neugierigen den Blick und haben das Baugrundstück mitten im Wohnkiez in eine üppige, undurchdringliche Wildnis verwandelt. Was hat es mit der ehemaligen Villa Hinderer auf sich? Erfahren Sie hier alle wichtigen Informationen zu dem Lost Place.

Das sind die Fakten zur Villa Hinderer im Überblick:

  • Adresse: Beymestraße 16, 12167 Berlin-Steglitz
  • Geschichte: Um die Jahrhundertwende errichtet; gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zerstört und danach durch die Erben des Eigentümers gepflegt, aber nicht wiederaufgebaut; verlassen seit 1991
  • Führungen: Keine
  • Denkmalschutz: Nein
  • Status: Lost Place

Wo liegt die Villa Hinderer genau?

Das Gebäude befindet sich an der Beymestraße 16 im Ortsteil Steglitz des Bezirks Steglitz-Zehlendorf. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht man das Grundstück am besten mit den Buslinien 282, 284, 380 und M82 (Haltestelle Neue Filandastraße). Von der Haltestelle benötigt man etwa sieben Minuten zu Fuß entlang der Albrecht-, Sedan- und Beymestraße bis zu dem Anwesen. Alternativ kann auch die Haltestelle Stindestraße (284, M82) genutzt werden, von wo aus man den Stadtpark Steglitz quert, um die Beymestraße zu erreichen. Es ist nicht erlaubt das Grundstück zu betreten. Auch interessant: Lost Places: Diese Strafen drohen bei Hausfriedensbruch

Das sind die wichtigsten Etappen der Geschichte der Villa Hinderer:

Ausgangslage: Steglitz wird zur größten Landgemeinde Preußens

Flugpionier Otto Lilienthal in Steglitz.
Flugpionier Otto Lilienthal in Steglitz. © picture alliance / Photo12 | Collection Bernard Crochet | picture alliance / Photo12 | Collection Bernard Crochet

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts führte die Erschließung der Vororte Berlins zu einem raschen Wachstum im damals noch ländlich geprägten Steglitz – dem ehemaligen Zentrum der Seidenraupenzucht Preußens. Die Gemeinde vor den Toren Berlins, in deren Nachbarschaft mit Lichterfelde-West und Dahlem ausgedehnte Villenkolonien heranwuchsen, erlebte einen Bevölkerungsschub. Immer mehr Großstädter zog es aus der Metropole hinaus in das grüne Umland.

Ein begünstigender Wirtschaftsfaktor: die Rauhen Berge im Osten von Steglitz, die mit ihren großen Sandgruben dringend benötigtes Baumaterial lieferten. 1892 machte der Flugpionier Otto Lilienthal vom steilen Rand der Abbaukante seine ersten Flugversuche, und noch 1922 diente die Dünenlandschaft für den Hollywood-Blockbuster "Das Weib des Pharao", der halb Steglitz in seinen Bann zog, als Filmkulisse.

Villa Hinderer: Errichtung des Landhauses in der Kaiserzeit

Die Villa liegt ganz in der Nähe des Stadtpark Steglitz. Postkarte Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die Villa liegt ganz in der Nähe des Stadtpark Steglitz. Postkarte Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. © picture alliance / arkivi | - | picture alliance / arkivi | -

Die Villa in der Beymestraße wurde um die Jahrhundertwende gebaut. Als damaliger Bauherr und Eigentümer wurde der Rechnungsrat J. Stein in den historischen Adressbüchern Berlins aufgeführt. Ende der 1920er-Jahre ging das Klinkerbauwerk mit seinem ausgedehnten parkähnlichen Garten in den Besitz der Steinschen Erben über. Seit Anfang der 1930er-Jahre war der Evangelische Pressedienst (EPD) Eigentümer des Hauses, das ab dieser Zeit von August Hinderer (1877–1945) und seiner Familie bewohnt wurde.

Der Theologe und Publizist leitete den EPD seit 1918 und hatte ihn in der Zeit der Weimarer Republik zu einem einflussreichen Sprachrohr des Protestantismus ausgebaut. Das Hauptgebäude des Verbandes lag direkt gegenüber, in der Beymestraße 8.

Villa Hinderer: Hinderers Gegnerschaft zum Naziregime

Den Evangelische Pressedienst (EPD) gibt es noch heute: Er ist die älteste der bestehenden deutschen Nachrichtenagenturen.
Den Evangelische Pressedienst (EPD) gibt es noch heute: Er ist die älteste der bestehenden deutschen Nachrichtenagenturen. © picture-alliance / dpa | epd-Bild Norbert Neetz | picture-alliance / dpa | epd-Bild Norbert Neetz

Hinderer war von der evangelischen Kirche in diverse kirchliche und kulturpolitische Gremien berufen worden: Er war Mitglied im Kulturbeirat des Deutschen Rundfunks, Beisitzer der staatlichen "Film-Oberprüfstelle" und baute ab 1926 das "Zentralarchiv für evangelisches Schrifttum" auf. Seit 1927 war er außerdem Honorarprofessor für Publizistik an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin – der heutigen HU Berlin – und spätestens in den 1930er-Jahren den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge.

Noch im März 1933 hatte Hinderer seine Position als EPD-Herausgeber genutzt, die Mitglieder des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses vor dem Nationalsozialismus zu warnen. Ein mutiger Schritt, der die neuen Machthaber provozierte: Die Büros des EPD wurden von der SA besetzt, Hinderer seines Amtes enthoben und 1934 von der Gestapo verhaftet. Er entging nur knapp einer Hinrichtung. Später durfte er zwar wieder arbeiten, bis zur Auflösung des EPD im Jahr 1941, war aber in allen politischen Fragen zur "Neutralität" verpflichtet.

Villa Hinderer: Das Haus wurde bis auf die Grundmauern ausgebombt

Berlin 1945: Die Kriegsschäden wie hier am Kurfürstendamm sind allgegenwärtig.
Berlin 1945: Die Kriegsschäden wie hier am Kurfürstendamm sind allgegenwärtig. © picture alliance / akg-images | akg-images | picture alliance / akg-images | akg-images

"Das Dasein in der Reichshauptstadt wird allmählich unbehaglich," schrieb August Hinderer in einem Brief vom 6. Februar 1945: "Das Stadtinnere sieht böse aus: Schloß, Dom Galerien, Universität dem Erdboden gleich." Zu diesem Zeitpunkt war seine eigene Villa bereits seit fast einem Jahr zerstört. In der Nacht vom 23. zum 24. März 1944 war die Villa bei einem Luftangriff getroffen worden.

In dieser Nacht hatte die Royal Air Force bei der Bombardierung Berlins unter starkem Flakbeschuss die Orientierung verloren und die Bomben, die eigentlich das damalige Regierungsviertel um die Neue Reichskanzlei in Mitte treffen sollten, über Steglitz abgeworfen. Die meisten Bomben gingen über der Villenkolonie Südende nieder – in der nach dem Bombardement nur noch ein Haus in der Grabertstraße übrigblieb.

Eine Bombe fand ihr Ziel in der Beymestraße 16: Lichterloh brannte das Familienhaus bis zu den Grundmauern nieder – und mit der Villa auch das Archiv des EPD, die Bibliothek, die Schriftensammlung und die persönlichen Aufzeichnungen Hinderers. Mehr als 20 Jahre Arbeit gingen in Flammen auf. Ein schwerer Schlag für den Theologen. Immerhin: Bei dem Bombentreffer seines Hauses wurde niemand getötet, von der persönlichen Habe der Familie aber konnte so gut wie nichts gerettet werden.

Villa Hinderer: Eine Steglitzer Kriegsbrache in der geteilten Stadt

Nach der Zerstörung musste sich die Familie eine neue Bleibe suchen. Die Villa war unbewohnbar geworden. Die Stufen der Treppe, die an der Außenseite des Gebäudes entlang in den oberen Stock führten, endeten jetzt im Nichts. Von dem Klinkerbau mit seinen roten Ziegelsteinmauern, Rundbogenfenstern und Verzierungen aus dunkel lasierten Ziegeln waren bis auf die Grundmauern nur einzelne Fragmente übriggeblieben. Eine hohle Kriegsruine inmitten einstiger Steglitzer Behaglichkeit.

An einen Wiederaufbau war in den Wirren der letzten Kriegsmonate nicht zu denken und auch nachdem die Alliierten Berlin befreit hatten, fehlte der Familie Wille und Mittel die Kriegsbrache wieder bewohnbar zu machen. August Hinderer war in seine schwäbische Heimat gegangen, wo er im Oktober 1945 verstarb. Seine drei Kinder – Fritz, Hermann und Maria Diemut – erbten die Ruine in der Beymestraße samt dem großen Filetgrundstück. Bis in die 1950er-Jahre verfolgten sie Pläne, den Familiensitz wiederherzurichten. Doch die politischen Entwicklungen ließen ein finanzielles Engagement in Berlin nicht ratsam erscheinen. Zu groß war die "Russenangst" – die Sorge bei einer Eskalation des Kalten Krieges alles zu verlieren. So verblieb das ehemalige Anwesen eine Brache, auch als man in den 1950er- und 1960er-Jahren daranging, die umliegenden Kriegsruinen abzureißen und in Südende Neubauten aus dem Boden schossen.

Villa Hinderer: Lost Place seit Anfang der 1990er-Jahre

In den Folgejahren kümmerte sich der in Berlin lebende Sohn von August Hinderer, der Astronom Fritz Hinderer um das Grundstück. Seit 1963 war er Professor und Abteilungsleiter für Theoretische Astronomie und Himmelsmechanik an der Freien Universität Berlin. In seiner Freizeit besuchte der gewissenhafte Himmelsforscher das verfallene Erbstück und kümmerte sich insbesondere um die Pflege des Gartens und der zahlreichen Obstbäume. Dort erlitt er 1991 beim Heckenschneiden einen Hirnschlag.

Nach seinem Tod blieb dann auch der Garten in der Beymestraße 16 weitgehend sich selbst überlassen. Pflanzen und Büsche eroberten sich Stück für Stück das Grundstück zurück und umrankten die verbliebenen Gebäudereste, bis sie zu jener Wildnis anwuchsen, die heute die Ruine umgibt.

Villa Hinderer: Erbin möchte das Grundstück nicht verkaufen

Das Anwesen erbte eine Enkelin von August Hinderer – eine in München ansässige Gymnasiallehrerin. Sie hätte das Ruinengrundstück in bester Lage, mit dem sie keine persönlichen Erinnerungen verband, gewinnbringend veräußern können, konnte sich zu einem Verkauf aber bis heute nicht durchringen.

Stattdessen schwebten ihr Pläne vor, etwas daraus zu machen, was dem Großvater gefallen hätte. Zu einer Rekonstruktion, einem Abriss oder Neubau kam es allerdings bis dato nicht. So verblieb die Kriegsruine auch in den nächsten Jahrzehnten im Zustand eines efeuumrankten Torsos, der immer wieder Neugierige anlockte: Jäger von verlorenen Orten – Lost Places in der Hauptstadt – die die überwucherten Villenreste gerne als Fotokulisse nutzen.

Villa Hinderer: Wie ist der Zustand des Lost-Place-Grundstückes heute?

Rund zwanzig Meter misst die Straßenfront des Anwesens Beymestraße 16. Vom Straßenraum lässt sich die Ausdehnung des Grundstücks durch das Dickicht nur erahnen. Die gemauerten Pfeiler des Zauns sind mit Graffiti übersät und die mit Rost überzogene Eingangspforte – es handelt sich um ein verschnörkeltes Modell der Jahrhundertwende mit stilisierten Pfeilspitzen – wurde durch ein Vorhängeschloss verstärkt und zusätzlich mit Stacheldraht bewehrt, um unerlaubtes Eindringen zu verhindern.

Eine Eingangsklingel suchen Besucher vergebens. Wer sollte sich auf dem verlassenen Grundstück auch um den Einlass kümmern? Durch das Grün der Äste und Blätter schimmern die Überreste des rotverklinkerten Gebäudes hindurch. Es ist beinahe komplett von Efeu umrankt und mutet wie ein verwunschenes Märchenschloss an. Dach und Fenster gibt es nicht mehr, aus den Öffnungen sind im Laufe der Jahrzehnte Bäume gewachsen.

Villa Hinderer: Wie reagiert der Bezirk?

Von Zeit zu Zeit kontrolliert das Bezirksamt, ob von dem Grundstück Gefahren für die Sicherheit im öffentlichen Raum ausgeht. Beanstandet wurde nichts. Die Zaunanlage sei stabil und verschlossen. Seit den 2000er-Jahren wurde das Objekt mehrfach zum Gegenstand von Anfragen in der Bezirksverordnetenversammlung.

Doch eine Handhabe sieht der Bezirk nicht: Sämtliche Versuche des Amtes, die Eigentümerin von deren Verpflichtungen im Umgang mit Eigentum gemäß Paragraph 77 der Bauordnung zu überzeugen, seien gescheitert. Und weil nach dem Zweiten Weltkrieg kein Wohnraum auf dem Grundstück entstanden sei, würde auch die Gesetzgebung zur Zweckentfremdung nicht greifen.

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