Berlin. An der Birkbuschstraße versorgte ein altes Kraftwerk seit der Kaiserzeit Steglitz mit Strom. Die Infos zu dem ehemaligen Lost Place.

Anfang des 20. Jahrhunderts begann die Gemeinde Steglitz mit dem Bau von kommunalen Versorgungseinrichtungen, wie einem Binnenhafen am Teltowkanal und einem eigenen Kraftwerk. Das Werk liefert seit 1911 Strom für den Berliner Ortsteil – unter anderem wurde die Straßenbahn und eine Eisfabrik versorgt. Im Kalten Krieg gesellten sich weitere Anlagen hinzu, um die Stromversorgung von Westberlin sicherzustellen. Doch nach der Wiedervereinigung kam das Aus für das alte Kraftwerk Steglitz und der Industriestandort fiel in einen jahrzehntelangen Dornröschenschlaf. Die wichtigsten Infos zu dem Lost Place.

Das sind die Fakten zum ehemaligen Kraftwerk Steglitz im Überblick:

  • Adresse: Birkbuschstraße 40–44, 12167 Berlin-Lankwitz
  • Geschichte: 1910/1911 nach Plänen des Bewag-Architekten Hans Heinrich Müller errichtet; technischer Entwurf durch Martin Rehmer; 1926 und 1929 Umbau und Erweiterung; In den 1950er-Jahren auf Ölfeuerung umgerüstet; 1984 mit Batterie-Speicherkraftwerk erweitert; bis zur Stilllegung 1994 als Fernkraftwärmewerk in Betrieb
  • Führungen: das Energie-Museum Berlin bietet Führungen nach vorheriger Anmeldung an
  • Denkmalschutz: Objekt-Nr. 09065388
  • Status: aktueller Lost Place. Auf dem Gelände befindet sich heute das Energie-Museum Berlin. Das Umspannwerk wird weiterhin genutzt

Wo liegt das ehemalige Kraftwerk Steglitz genau?

Blick vom Kraftwerksgelände in die Birkbuschstraße am Teltow-Kanal, Postkarte 1910er-Jahre
Blick vom Kraftwerksgelände in die Birkbuschstraße am Teltow-Kanal, Postkarte 1910er-Jahre © picture alliance / arkivi | - | picture alliance / arkivi | -

Das ehemalige Kraftwerk Steglitz liegt auf dem Grundstück Birkbuschstraße 40–44 im Ortsteil Lankwitz des Bezirks Steglitz-Zehlendorf. Das Gelände ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln am besten mit den Buslinien 186 und 283 (Haltestelle Teltowkanalstraße) zu erreichen. Die Haltestelle befindet sich direkt an der Grundstücksecke des ehemaligen Kraftwerks.

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Das sind die wichtigsten Etappen der Geschichte des Kraftwerks Steglitz

Ausgangslage: Die boomende Elektrifizierung Berlins und seiner Vororte

Anfang des 20. Jahrhunderts versorgten zwei Kraftwerke – das Kraftwerk Moabit und das Großkraftwerk Oberspree – die elektrizitätshungrige Hauptstadt mit Strom. Schon bald entwickelte sich Berlin zu einem Hotspot der Elektrizitätswirtschaft und in den späten 1920er- und frühen 1930er-Jahren – die "New York Times" kürte Berlin zur "best-beleuchteten Stadt der Welt".

Um die Elektrifizierung voranzutreiben und den stetig wachsenden Strombedarf zu decken, wurden immer mehr Kraftwerke in Berlin und seiner Umgebung aus dem Boden gestampft. Eines von ihnen: das Kraftwerk Steglitz, das die damals noch eigenständige preußische Gemeinde, für die Stromversorgung ihrer rund 80.000 Einwohner errichten ließ. Vorausgegangen war eine intensive Debatte über die Chancen und die Wirtschaftlichkeit der kommunalen Selbstversorgung in Steglitz.

Das alte Kraftwerk Steglitz: Errichtung in der Kaiserzeit

Das Kraftwerk Steglitz wurde in den Jahren 1910 bis 1911 auf einem Gelände errichtet, auf dem sich auch der damalige Betriebshof für die Straßenbahn der Gemeinde Steglitz befand. Die ehemalige Straßenbahn-Wagenhalle des Depots ist nicht mehr erhalten. Die Werkstatthalle des Kraftwerks soll ursprünglich vom Betriebshof der Straßenbahn genutzt worden sein.

Die Lage war perfekt: Nicht nur konnte die Straßenbahn direkt versorgt werden, der Platz lag auch am wenige Jahre zuvor eröffneten Teltowkanal, so dass die Kohlezufuhr für das Kraftwerk per Schiff erfolgen konnte. Über eine schmale Betriebsstraße konnte außerdem das kommunal betriebene Eiswerk angefahren werden. Das Kraftwerk lieferte Strom für private Haushalte, Gewerbebetriebe und die Industrie in Steglitz, für die Straßenbahn sowie die benachbarten Gemeinden Schönow und Teltow.

Das alte Kraftwerk Steglitz: So war die Anlage aufgebaut

Die Industrieanlage war von dem Berliner Architekten Hans Heinrich Müller (1879–1951) entworfen worden. Die technische Ausführung ging auf Martin Rehmer zurück und orientierte sich an Georg Klingenbergs Kraftwerk-Prototyp in Heegermühle.

Der kompakte Kraftwerksbau bestand aus drei Gebäudeteilen, dem Kesselhaus, dem Maschinenhaus und einem zweigeschossigen Büro- und Wohnhaus. Das Kesselhaus war quer an das Maschinenhaus angeschlossen, das mit seinen hohen Giebeln die Anlage dominierte. Das Schalthaus befand sich an der Längswand des Maschinenhauses und bildete zusammen mit dem Verwaltungsgebäude einen halboffenen Innenhof.

Das Gebäudeensemble mit seiner gegliederten Fassade aus dunkelbraunen Rathenower Handstrichziegeln mit Verzierungen durch rote und weiße Ziegel, den flankierenden Treppentürmen und Vorbauten, Apsiden und Pergolen war ein Vorläufer des Backsteinexpressionismus, den Müller später mit seinen imposanten Bauten wie dem Umspannwerk Humboldt und dem Umformerwerk Prenzlauer Berg perfektionierte.

Das Umspannwerk Humboldt der Bewag.
Das Umspannwerk Humboldt der Bewag. © picture-alliance / Brexendorff_Michael | Brexendorff Michael | picture-alliance / Brexendorff_Michael | Brexendorff Michael

Das alte Kraftwerk Steglitz: Erweiterungen der Kraftwerksanlage seit den 1920er-Jahren

Mit der Gründung von Groß-Berlin 1920 und der Eingemeindung von Steglitz ging das Kraftwerk 1922 in das Eigentum der Städtischen Elektrizitätswerke Berlin über, aus der ein Jahr später die Berliner Städtische Elektizitätswerke AG (Bewag) wurde. Auch die Aufgaben der Steglitzer Verantwortlichen erweiterten sich. Martin Rehmer, der bis dahin Leiter des Standortes gewesen war, übernahm die Betriebsdirektion des neuen Unternehmens.

1926 wurde das Steglitzer Kraftwerk umgerüstet und lieferte seitdem auch Fernwärme, unter anderem für die Siedlung an der Birkbuschstraße. Durch den Einbau einer Entnahmekondensationsturbine 1934 wurde das Kraftwerk Steglitz zum ersten Beispiel einer konsequenten Kraft-Wärme-Kopplung auf Warmwasserbasis in Deutschland.

Der Betriebshof auf dem Gelände ging an die Berliner Straßenbahn, die ihn 1929 stilllegte. Im selben Jahr wurde auf dem Gelände ein neues 30/6 Kilovolt-Umspannwerk nach Plänen des Architekten Egon Eiermann errichtet, das für die Einrichtung der neuen Spannungsebene von 30 Kilovolt in der Berliner Elektrizitätsversorgung benötigt wurde. Das alte Umspannwerk wurde überformt, als in den Jahren 1940 bis 1942 ein größeres Werk an der Ecke Birkbuschstraße zur Teltowkanalstraße gebaut wurde.

Das alte Kraftwerk Steglitz: Herzschrittmacher für das Westberliner Stromnetz

Bau der Mauer 1961. Bereits seit 1952 war Westberlin vom Stromnetz gekappt
Bau der Mauer 1961. Bereits seit 1952 war Westberlin vom Stromnetz gekappt © picture-alliance / dpa | UPI | picture-alliance / dpa | UPI

Mit der Teilung Berlins nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1952 auch das Berliner Stromnetz getrennt. In der Folge musste die westliche Teilstadt als "autonomer Inselbetrieb" ohne Verbindung zu übergeordneten Hochspannungsnetzen neu geplant werden, und der Standort Steglitz wurde für die neue Aufgabe zu einem technologischen Labor und Trendsetter.

Noch 1952 entstand am Kraftwerk Steglitz die erste Freiluftschaltanlage für den Anschluss an das heutige Kraftwerk Reuter-West. Ende der 1950er-Jahre wurde das Kraftwerk auf Ölfeuerung umgerüstet und blieb bis zur Stilllegung als Fernwärmekraftwerk in Betrieb. Dafür wurden eine Reihe von Ölbehältern am Kanalhafen gebaut. Auf dem jetzt nicht mehr benötigten Kohlelagerplatz entstand 1959/1960 die erste Westberliner Gasturbinenanlage. Anfang der 1970er-Jahre kam an der Teltowkanalstraße eine 110-Kilovolt-Innenraum-Schaltanlage hinzu.

Eine einzigartige Besonderheit der Anlage war die 1986 in Betrieb genommene Batteriespeicheranlage, die wie ein "Herzschrittmacher" die Westberliner Elektrizitätsversorgung sicherte. Bis zur Wiedervereinigung diente sie als Frequenzstabilisierung und Stromspeicher, der plötzlich auftretende Spitzenbelastungen kurzzeitig ausgleichen konnte.

Das alte Kraftwerk Steglitz: Lost Place nach der Wende

Wärmespeicher auf dem Gelände des Heizkraftwerks Reuter-West. 1952 wurde das Kraftwerk Steglitz mit einer Freiluftschaltanlage ausgestattet für den Anschluss an Reuter-West.
Wärmespeicher auf dem Gelände des Heizkraftwerks Reuter-West. 1952 wurde das Kraftwerk Steglitz mit einer Freiluftschaltanlage ausgestattet für den Anschluss an Reuter-West. © picture alliance/dpa | Christophe Gateau | picture alliance/dpa | Christophe Gateau

Nach der Wiedervereinigung wurde Westberlin im Laufe der 1990er-Jahre wieder an das überregionale Stromnetz angebunden, und das Kraftwerk und das Batteriespeichergebäude in Lankwitz verloren ihre Aufgaben. 1994 wurde das Areal stillgelegt. Während die Gebäude des Kraftwerks bis heute leer stehen, wurde das Batteriespeichergebäude 2001 aus seinem Dornröschenschlaf geweckt. Im dort eingerichteten Energie-Museum Berlin präsentiert seitdem eine Gruppe ehemaliger Mitarbeiter rund 5.000 Exponate zur Geschichte der "Elektropolis" Berlin. Feste Öffnungszeiten gibt es nicht. Stattdessen führen Ehrenamtliche nach Anmeldung durch die Ausstellung.

Trotz des fast drei Jahrzehnte währenden Leerstandes, in dem der Industriestandort ohne Nutzung zu einem Lost Place in Lankwitz wurde, ist der bauliche Zustand des Gebäudeensembles noch in einem weitgehend intakten Zustand. Das liegt auch daran, dass Teile des Areals durch Zwischennutzung und das Museum belebt sind und das Gelände gesichert ist. Unbefugten wird der Zugang durch einen aufmerksamen Pförtner versperrt. In jüngster Zeit wurden die alten Kraftwerksbauten gelegentlich als Drehort genutzt.

Das alte Kraftwerk Steglitz: Neue Konzepte für das verwaiste Kraftwerk

Noch steht das Kraftwerk Steglitz leer, aber das soll sich ändern. Wo früher Strom erzeugt wurde, könnten sich schon bald Kreative austoben. Die Künstlerinitiative Phasenwechsel regte zuletzt eine kulturelle Nutzung des alten Kraftwerks an und konnte mit ihren Plänen Carsten Berger, kulturpolitischer Sprecher der Grünen in Steglitz-Zehlendorf, überzeugen.

"Ist der Ort erst einmal ein Industriedenkmal, kann er nur noch kulturell genutzt werden", sagt der Bezirkspolitiker. Eigentümer des Areals sei ein Luxemburger Immobilienfonds, der bereits mit der Künstlerinitiative in Kontakt stehe und ihnen das Gelände 2020 zur Zwischennutzung überlassen habe.

„Der Südwesten ist eine kulturelle Brache“, findet Berger. Es gäbe keine Clubs oder etwas ähnliches wie das RAW-Gelände in Friedrichshain. Dabei ähnelten sich die beiden Industriestandorte.

Auch die Bezirksverordnetenversammlung hat die kulturelle Nutzung der ehemaligen Kraftwerksbauten generell befürwortet und das Bezirksamt ersucht, Initiativen dazu nach Möglichkeit organisatorisch zu unterstützen. Wenn die Pläne Wirklichkeit werden, könnten künftig Konzerte, Workshops und Partys an der Birkbuschstraße stattfinden.

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