Berlin. Am Kranoldplatz schlummerte das alte Stellwerk Lichterfelde jahrelang im Dornröschenschlaf. Wichtige Infos zum ehemaligen Lost Place.
In Lichterfelde am Kranoldplatz befinden sich einige historisch interessante Eisenbahnbauten. Eine von ihnen: das ehemalige Stellwerk „Lio“, das hoch über den Platz aufragt und aus der Kaiserzeit stammt. Als der Bahnhof in den 1950er-Jahren seinen Fernanschluss aufgab, verlor auch das mechanische Stellwerk seine Funktion. Seitdem gab es immer wieder Versuche, dem alten Turm neues Leben einzuhauchen. Die wichtigsten Infos zu dem ehemaligen Lost Place, der ein Zeugnis der frühen Berliner Eisenbahngeschichte ist.
Das sind die Fakten zum Stellwerk Lichterfelde Ost im Überblick:
- Adresse: Kranoldplatz 6, 12209 Berlin-Lichterfelde
- Geschichte: Errichtung 1915/1916 nach Plänen der Architekten Karl Cornelius und Alfred Lücking; Inbetriebnahme als Stellwerk „Lio“ 1916; Außerbetriebnahme mit der Einstellung des Fernverkehrs auf der Anhalter Berlin 1952; durch die Bahn vorgehalten, zeitweise Nutzung als Restaurant „Stellwerk“ bis 2017, danach Leerstand
- Bautyp: mechanisches Stellwerk mit Wechselstromblock (Einheit Mw) und Bedienmannschaft
- Führungen: keine
- Denkmalschutz: Objekt-Nr. 09075167
- Status: ehemaliger Lost Place, nach Sanierung und Umbau zogen 2022 gewerbliche Mieter ein
Wo liegt das Stellwerk Lichterfelde Ost genau?
Das Stellwerk befindet sich am Kranoldplatz 6 im Ortsteil Lichterfelde des Bezirks Steglitz-Zehlendorf. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Werk am besten vom S-Bahnhof Lichterfelde Ost (S25, S26, Bus 184, 284, M11, N84, X11) zu erreichen. Das Gebäude befindet sich südwestlich des Bahnhofs an der S-Bahngleisunterführung am Kranoldplatz.
Das sind die wichtigsten Etappen der Geschichte des Stellwerks Lichterfelde Ost:
Ausgangslage: einer der ältesten Bahnhöfe Berlins
Seit mehr als 150 Jahren ist der Bahnhof Lichterfelde Ost ein Entwicklungsmotor im Berliner Süden. Der erste Lichterfelder Bahnhof wurde 1868 an der Bahnstrecke Berlin–Halle (Saale) eröffnet. Die nötigen finanziellen Mittel stellte der Hamburger Bauunternehmer Johann Anton Wilhelm von Carstenn (1822–1896) bereit, der sich von dem Fernverkehrsbahnhof Wachstum für sein Villenprojekt Lichterfelde versprach. Seine Vision: Die damals noch eigenständige Landgemeinde sollte zu einem attraktiven Wohnviertel für begüterte Berliner werden. Die Gleise der Anhalter Bahn lagen damals noch auf Geländeniveau und der Bahnhof hatte nur einen Bahnsteig – bescheidene Anfänge.
Carstenn hatte sich mit dem Standort nicht getäuscht und die Entwicklung schritt rasch voran: 1876 wurde der Bahndamm für Vorortzüge nachgerüstet. 1881 feierte die erste elektrische Straßenbahn der Welt auf der Strecke zwischen der Lichterfelder Kadettenanstalt und dem Bahnhof Lichterfelde Premiere und 1899 eröffnete ein zweiter – ausschließlich für den Fernverkehr vorgesehener – Bahnsteig. Die Strecke war prädestiniert für eine weitere Neuerung: Ab 1903 erprobte man von hier einen elektrischen Bahnbetrieb mit 550 Volt Gleichstrom und sammelte so Erfahrungen für die künftige Elektrifizierung und die Einführung der Berliner S-Bahn.
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Lichterfelde Ost: Ausbau des Bahnhofs in den Kriegsjahren
Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurde der immer wichtiger werdende Bahnhof Groß-Lichterfelde Ost schließlich hochgelegt und auf drei Bahnsteige mit sechs Bahnsteiggleisen ausgebaut. Der Güterverkehr wurde auf einem separaten kleinen Güterbahnhof mit fünf Gleisen verlegt.
Die Pläne für die Erweiterung des Bahnhofs stammten von dem Berliner Eisenbahnarchitekten und Baubeamten Karl Cornelius (1868–1938), der zahlreiche Bahngebäude und Bahnhöfe Berlins in der Zeit nach der Jahrhundertwende gestaltete. Er war unter anderem auch der Schöpfer des Wasserturms am Bahnhof Ostkreuz. Unterstützung erhielt Cornelius durch den Architekten Alfred Lücking. Die Arbeiten begannen 1913. Bereits 1916 konnten die ersten Bahnreisenden an den Schaltern des neugestalteten Bahnhofs Tickets lösen.
Am Bahnhof Lichterfelde Ost waren keine Kosten und Mühen gescheut worden: Der Bahnhofsneubau erhielt ein mit Pilastern gegliedertes Empfangsgebäude an der Nordwestseite mit einem mit Uhrgiebel geschmückten Eingang. An der Südostseite erhielt der Bahnhof ein repräsentatives Prunkportal, das Elemente des Neoklassizismus aufgriff. Westlich vom Bahnhof wurde eine Straßenunterführung sowie der prägnante viergeschossige Stellwerksturm gebaut, der bis heute das Erscheinungsbild des Bahnhofs prägt.
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Lichterfelde Ost: Errichtung des Stellwerks Lichterfelde
Um die Vielzahl an Weichen und Signalen sicher steuern zu können, entstanden im Bereich des Bahnhofs zwei Stellwerke: Für den Vorortverkehr das heute nicht mehr existente Stellwerk „Lmt“ und für den Fern- und Güterverkehr das hochaufragende Stellwerk „Lio“ am Kranoldplatz. Bei dem zwischen 1915 und 1916 – mitten im Ersten Weltkrieg – erbauten Gebäude handelt es sich um einen mit Klinkern verkleideten Turm aus Stahlbeton.
In seiner Formensprache greift das Bauwerk Elemente des Ziegelexpressionismus auf. Das schmale an die Gleise geschmiegte Gebäude hat einen oktogonalen Grundriss mit Frontseite zum Kranoldplatz. Über dem erweiterten Sockelgeschoss ragen drei Etagen mit Mittelrisalit auf, die von einem Spitzdach bekrönt werden. Angrenzend zum Stellwerk befand sich ein von Regierungsbaumeister Richard Tietzen entworfenes eingeschossiges Toilettengebäude.
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Stellwerk Lichterfelde Ost: Das Werk wird in den 1950er-Jahren zum Lost Place
Im Zweiten Weltkrieg nahm das Stellwerk am Bahnhof Lichterfelde Ost keine nennenswerten Schäden. Seit 1929 war der Bahndamm an die Strecke der S-Bahn angegliedert und bediente den Nahverkehr in der Stadt. Mit der Stilllegung des Anhalter Bahnhofs 1952 gingen die Fernbahnsteige in Lichterfelde Ost außer Betrieb, und der Bahnhof wurde nur noch für den S-Bahnverkehr genutzt, der wie alle S-Bahnhöfe seit der Nachkriegszeit von der DDR-Reichsbahn betrieben wurde.
Bis in die 1950er-Jahre war im mechanischen Stellwerk Lio der Bahnverkehr überwacht worden. Bahnmitarbeiter konnten von dem hohen Gebäude aus per Hand die Stellung der Fahrwegelemente – wie Weichen und Gleissperren – steuern. Mit der Stilllegung des Fernbahnverkehrs verlor auch das Stellwerk Lio seine Funktion. Der Stellwerksturm wurde am 19. Mai 1952 außer Betrieb genommen. Für den S-Bahnbetrieb wurde das weitgehend funktionslos gewordene Gebäude noch vorgehalten, doch mit dem S-Bahnboykott der Westberliner war das Fahrgastaufkommen in Lichterfelde überschaubar geworden.
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Stellwerk Lichterfelde Ost: Nachnutzung als Restaurantbetrieb in den 2000er-Jahren
Mit der Übernahme des S-Bahnbetriebs 1984 durch die BVG wurde der Betrieb in Lichterfelde Ost ganz eingestellt. Ende der 1980er-Jahre kamen Pläne für eine Verlängerung der U-Bahn-Linie U9 über Lankwitz nach Lichterfelde Süd auf. Die Strecke sollte in Lankwitz in die ungenutzten Vorortgleise eingebunden werden, wurde aber bis heute nicht verwirklicht. Nach der Wende wurde die S-Bahn-Strecke wiederaufgebaut und der Bahnhof mit einem Inselbahnsteig 1995 wiedereröffnet. 2006 kamen auch wieder Fernbahnstrecken auf neu errichteten Seitenbahnsteigen hinzu. Doch auch jetzt wurde das stillgelegte Stellwerk Lio nicht mehr benötigt. Die Funktion der Bahnüberwachung wurde durch ein elektronisches Stellwerk übernommen, das von der Betriebszentrale Halensee aus überwacht und gesteuert wird.
Stattdessen eröffnete in dem denkmalgeschützten Gebäude 2006 das Restaurant Stellwerk. Der Eingang befand sich im ehemalige Toilettengebäude, das mit einem Dachaufbau mit straßenseitig verglasten Gasträumen aufgestockt wurde und in dessen Erdgeschoss sich Geschäfte befanden. Die Häuserzeile zum Kranoldplatz aus der das Stellwerk herausragte, war bereits 2002 zu den „Kranold-Arkaden“ ausgebaut worden. Auf der Verbindung zum ehemaligen Stellwerksgebäude und im rückwärtigen Bereich des Stellwerks wurden Dachterrassen eingerichtet, auf der Bahnenthusiasten angesichts hautnah vorbeifahrender Regional- und Fernzüge voll auf ihre Kosten kamen.
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Stellwerk Lichterfelde Ost: 2017 wurde das Gebäude erneut zum Lost Place
2017 war Schluss mit dem gemütlichen Essen auf der Terrasse mit Blick auf vorbeirauschende Züge. Das Restaurant musste schließen und die letzten Gäste und Mitarbeiter verließen über das erhaltene historische Treppenhaus oder die anderen Zugänge das Gebäude. Im Stellwerk Lio gingen vorerst die Lichter aus und das historische Gemäuer am Kranoldplatz wurde mit Ausnahme des weiter betriebenen Imbisses im Sockelgeschoss erneut zu einem vergessenen Ort.
In den weiteren Räumen des Stellwerksgebäudes sollen künftig Büros eine neue Heimat finden. 2018 übernahm der Investor Harald Huth mit der HGHI Holding GMBH das Stellwerksgebäude mitsamt dem ganzen Gebäuderiegel und weiterer Immobilien am Kranoldplatz. Es begannen Sanierungs- und Umbauarbeiten an dem historischen Gebäude. Seit den 2020er-Jahren zogen neue Mieter in die alten Hallen, so befindet sich beispielweise seit 2022 ein Fitnessstudio auf zwei Etagen in den Räumlichkeiten, die zuvor gastronomisch genutzt worden waren. Auch in das ehemalige Toilettengebäude sind wieder gewerbliche Mieter eingezogen.
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