Berlin. Es ist einer dieser ominösen Beauty-Trends: Warum schwören immer mehr Menschen auf Schneckenschleim? Unsere Expertin, Dr. Yael Adler, gibt Antworten.

Für Menschen, die nicht in Beauty-Trends bewandert sind, kann es gewöhnungsbedürftig bis absurd klingen, sich Schneckenschleim auf die Haut zu schmieren. In der koreanischen Hautpflege ist es jedoch schon seit vielen Jahren gängige Praxis. Und auch hierzulande setzt sich Schneckenschleim in der Kosmetik immer mehr durch. Denn seine Wirkung auf die Haut soll mit keinem anderen Pflegeprodukt vergleichbar sein. Die Dermatologin und Bestseller-Autorin („Genial vital!“), Dr. Yael Adler, hat den Beauty-Trend für uns eingeordnet.

Die Dermatologin Dr. Yael Adler
Die Dermatologin Dr. Yael Adler © Thomas Duffé

Schneckenschleim seit der Antike als Wundheilmittel bekannt

Dass Schneckenschleim zur Hautpflege genutzt wird, ist nicht neu: „Schon in der Antike hat man entdeckt, dass Schnittwunden dadurch schneller heilen“, erklärt Dr. Adler. Wissenschaftlich untersucht wurde die Substanz aber erst ab den 1960-Jahren. Durch Zufall entdeckte ein spanischer Forscher, dass Schnecken kleine Verletzungen selbst reparieren können. In einer Studie stellten griechische Ärzte fest, dass Schneckenschleim Verbrennungen schneller abheilen lässt.

Die Kosmetikindustrie wurde erst später auf Schneckenschleim aufmerksam, ebenfalls durch eine zufällige Entdeckung: Eine französische Familie, die Weinbergschnecken für Restaurants züchtete, bemerkte bei der Arbeit mit den Tieren, dass ihre Hände außergewöhnlich weich wurden. Sie stellen schließlich das erste Produkt mit Schneckenschleim her, das 1995 auf den Markt kam. Mittlerweile haben weltweit zahlreiche Hersteller nachgezogen.

Schneckenschleim in der Kosmetik: Welche Wirkung hat er auf der Haut?

Nicht nur der hautregenerierende Effekt macht das Naturprodukt für die Hautpflege wertvoll: „Im Schneckenschleim stecken antioxidative und entzündungshemmende Wirkstoffe, wie Allantoin, Kollagen, Elastin, Hyaluronsäure, Schutzenzyme, Mineralien, Glykolsäure und auch einige kurzkettige Eiweiße, die wie ein natürliches Antibiotikum wirken. Auch die Vitamin A, Vitamin C und E können laut Literatur im Schneckenschleim enthalten sein, variierend je nach Art, allerdings in eher geringen Mengen“, so Dr. Adler.

Mit diesem Wirkstoffkomplex können Schnecken nicht nur Verletzungen und Risse an ihrem Gewebe reparieren. Der Schleim dient auch als natürlicher Schutz gegen Infektionen und geringfügig auch gegen UV-Strahlung. All das kommt auch menschlicher Haut zugute.

Die Zusammensetzung ist wie in einer besonders guten Hautcreme und kann so tatsächlich einen positiven Effekt auf die Haut haben.
Dr. Yael Adler - Dermatologin

Während Kollagen und Elastin die Hautbarriere von außen stärken und Falten durch Feuchtigkeitssteigerung in der Hornschicht reduzieren können, hilft Allantoin mit seiner talgregulierenden Wirkung gegen Pickel. Vitamin A (Retinol), C und E (sofern enthalten) sowie Glykolsäure sorgen zudem für einen frischen, strahlenden Teint. Und der hohe Wasseranteil des Schleims (rund 97 Prozent) durchfeuchtet die Haut. Die Schleimstoffe bilden einen Film, der die Feuchtigkeit länger einschließt.

Wirkung von Schneckenschleim nicht zweifellos belegt

Man braucht in der Regel verschiedene Produkte, um alle genannten Wirkstoffe abzudecken – in Schneckenschleim ist alles bereits enthalten. Genau das macht ihn für Beauty-Begeisterte so attraktiv. „Aber man muss auch ganz klar sagen, dass tierische Produkte – generell Naturprodukte – zu Kontaktallergien führen können“, gibt Dr. Adler zu bedenken. „Zudem kann die Konzentration der Schleim-Inhaltsstoffe variieren und auch niedriger sein als in gezielt angereicherten Kosmetika.“

Darüber hinaus ist die Wirkung von Schneckenschleim noch nicht ausreichend erforscht. Darum ist es nicht klar, ob die Substanz für jeden Hauttypen geeignet ist und wie stark die Effekte überhaupt sind.

Mehr zum Thema Hautpflege

+++ Themenseite Hautpflege +++

Hinzu kommt, dass nicht jedes Produkt mit Schneckenschleim tatsächlich die hautpflegenden Nährstoffe enthält. Schnecken produzieren nämlich zwei Arten von Schleim – und nur einer davon ist wirksam. Den Schleim mit dem Namen Helix Aspersa Müller erzeugen Schnecken, um sich fortbewegen zu können. Darin stecken keine Wirkstoffe. Diese befinden sich nur im Snail Secretion Filtrate. Damit ist der gefilterte Schleim gemeint, den Schnecken nicht durchgehend, sondern nur unter Stress absondern.

Schnecken produzieren zwei verschiedene Arten von Schleim
Schnecken produzieren zwei verschiedene Arten von Schleim © iStock | SlavkoSereda

Wie wird Schneckenschleim gewonnen?

Um größere Mengen des Schleims zu extrahieren, müssen die Schnecken demnach künstlich unter Stress gesetzt werden. Wie die Tierrechtsschutzorganisation PETA auf ihrer Webseite informiert, kann das bedenkliche Ausmaße annehmen. So würden konventionelle Hersteller die Schnecken in Zentrifugen schleudern, um das Filtrat zu gewinnen, oder in Salzwasser setzen – das Salz entzieht dem Gewebe Feuchtigkeit. Darauf reagieren die Schnecken mit einer stärkeren Schleimbildung, um nicht auszutrocknen.

Bio-Bauern setzen hingegen auf eine schonende Gewinnung des Schleims, indem sie die Schnecken massieren, leicht kitzeln oder sie über ein Netz laufen lassen. Das abgesonderte Filtrat wird anschließend mit Mikrostäben aufgesammelt. Da sie einen großen Aufwand in der Produktion erfordern, sind Bio-Produkte mit Schneckenschleim deutlich teurer.

Schneckenschleim: Kritik an Tierquälerei

Offiziell wird keine Methode zur Schneckenschleimgewinnung als Tierquälerei eingestuft. Das hat zwei Gründe: Es wird angenommen, dass Schnecken bei der Schleimextraktion keinen Schaden davontragen. Zudem fallen wirbellose Tiere nicht unter das Tierschutzgesetz.

Doch unabhängig von der rechtlichen Lage, ist die maschinelle Gewinnung von Schneckenschleim problematisch: „Aus ethischer Sicht kann es […] niemals akzeptabel sein, ein empfindungsfähiges Lebewesen dauerhaftem Stress auszusetzen“, kritisiert PETA. Wer sich ein Pflegeprodukt mit Schneckenschleim zulegen möchte, sollte daher darauf achten, dass es von einem zertifizierten Bio-Hersteller stammt.

Es gibt viele Alternativen zu Schneckenschleim

Ohne Frage, kaum ein Beauty-Produkt kann mit der Wirkstoffkombination von Schneckenschleim mithalten. Herkömmliche Pflegeprodukte haben aber einen entscheidenden Vorteil: „In gewöhnlichen Feuchtigkeitscremes und Seren werden verschiedene natürliche oder synthetische Wirkstoffe kombiniert, die passgenau auf ein bestimmtes Hautbedürfnis zugeschnitten und in ihrer Konzentration berechenbar sind“, erklärt Dr. Adler.

Wenn man etwa seine Haut lediglich mit Feuchtigkeit versorgen möchte, sind talgregulierende und antibakterielle Wirkstoffe überflüssig – dann tun es auch herkömmliche Feuchtigkeitscremes, die genau wie Schneckenschleim häufig eine Kombination aus Hyaluronsäure, Kollagen und Vitamin E enthalten.

Zwar kann Schneckenschleim mit vielen hautpflegenden Inhaltsstoffen aufwarten. Aber es ist kein Wundermittel, das jedes Hautproblem verschwinden lässt. Andere bekannte Pflegewirkstoffe können hilfreicher sein, da ihre Wirkung wissenschaftlich gut belegt ist:

  • Hyaluronsäure, Urea und Glycerin spenden der Haut viel Feuchtigkeit.
  • Vitamin E wirkt antioxidativ und beugt Hautalterung vor.
  • Panthenol (Vorstufe von Vitamin B5) hilft bei der Wundheilung, regeneriert und spendet Feuchtigkeit.
  • Allantoin wirkt hautglättend und -beruhigend.
  • Retinol mildert Falten, stimuliert Kollagen und strafft dezent die Haut.
  • Niacinamid (Vitamin B3) reduziert Juckreiz und begünstigt ein ebenmäßigeres Hautbild.
  • Ceramide stärken die Hautbarriere.
  • Azelainsäure wirkt antibakteriell und entfernt abgestorbene Hautschuppen.
  • Bakuchiol verfeinert das Hautbild.
  • Vitamin C wirkt antioxidativ.

Werden verschiedene Wirkstoffe passend zum individuellen Hautproblem in der Pflegeroutine kombiniert, kann das positivere Effekte auf die Haut haben als Schneckenschleim.