Berlin. Im „Atelier Ginza“ verkaufen Ilka und Kai Fryder japanische Spirituosen – darunter unbekannte Spezialitäten mit überraschendem Kick.

Ding Dong! „Irasshaimase“ – So tönt es, wenn man die Tür des Spirituosengeschäfts in der Pfalzburger Straße 20 in Wilmersdorf öffnet. „Herzlich willkommen“, heißt das, auf Japanisch. Hier haben Ilka und Kai Fryder ihr Geschäft „Atelier Ginza“, benannt nach dem berühmten Geschäfts- und Vergnügungsviertel in Tokio – ultramodern mit nackten Betondecken und minimalistischem Mobiliar, zeitlos, stilsicher, reduziert, japanisch eben. Kalt wirken die weitläufigen Räume trotzdem nicht, es gibt einen eigenen Tasting-Bereich, wo trotz des halligen Klangs schnell Gemütlichkeit aufkommt. Was auch an ihrer Ware liegen könnte, die man dort verkosten kann, die schnell für Wohlfühlatmosphäre sorgt.

Natürlich gibt es in Berlin Dutzende Geschäfte, die Schnaps vertreiben, Rum, Whisky, Gin, was die Kunden eben lieben. Doch die Fryders haben sich auf japanische Spirituosen spezialisiert. Auch bei ihnen gibt es die hierzulande bekannten Klassiker, nur aus Japan, Sake natürlich auch, aber das ganz Besondere bei ihnen ist unter anderem Shochu.

Tatsächlich gibt es den Handel bereits seit 2015, erzählt Kai Fryder. Seitdem importieren sie ihre Ware aus Japan, haben bislang aber vor allem online und direkt an die Gastronomie verkauft. Der eigene Laden, der ist neu und existiert erst seit wenigen Monaten. Im Juni 2023 habe man sich entscheiden müssen, ob man den Vertrag verlängern solle, doch das Lager an der Adalbertstraße in Kreuzberg war zu klein geworden und hatte noch so andere „Problemchen“, beispielsweise bei der Anlieferung.

Blick in den Tasting-Bereich des „Atelier Ginza“ in Wilmersdorf.
Blick in den Tasting-Bereich des „Atelier Ginza“ in Wilmersdorf. © Atelier Ginza Berlin | Atelier Ginza Berlin

Noch ein anderer Aspekt kam hinzu: „Dieser Shop oder auch Showroom oder auch Tasting-Room, das spukte uns schon immer im Kopf herum, als fehlendes Puzzlestück sozusagen“, so Kai Fryder. Denn bei Events oder Messen stellten sie fest: Viele ihrer Produkte waren den Leuten völlig unbekannt. „Es gibt Kategorien beim Alkohol in Japan, die sind nicht bekannt“, sagt er. Dabei geht es aber nicht um Sake. „Sake ist ja fast schon gewöhnlich im Vergleich zu den Sachen, die dort im Regal stehen“, so Fryder. Denn der Shochu oder auch der Awamori, um den es geht, „der wird in Japan viel mehr getrunken als Sake, kennt hier aber kein Mensch“.

Dabei gibt es offenbar ein großes Potenzial: „80 Prozent der Leute, die das probieren, finden es toll und mögen es ehr gerne.“ Deshalb könne man zwar im Internet sehr große Zielgruppen erreichen, aber ein Probieren ist halt nicht möglich. „Deshalb war dieser Laden schon immer so ein kleiner Traum“, sagt Fryder weiter. Nur: Kreuzberg sollte es nicht sein. Zum einen, weil es da schon ein wenig Konkurrenz gegeben habe, zum anderen wollte man nicht ständig die Graffiti von den Scheiben wegmachen müssen. „Alles, was schön aussieht, wird dort erst einmal per se besudelt und zerstört“, sagt Ilka Fryder.

Japanisch minimalistisch arrangiert: ein kleiner Teil des Angebots.
Japanisch minimalistisch arrangiert: ein kleiner Teil des Angebots. © Atelier Ginza Berlin | André Wagenzik

Also wurde es das gutbürgerliche Wilmersdorf, wo die Gefahr der mutwilligen Zerstörung zumindest deutlich geringer ausfallen dürfte. Mit ausschlaggebend war auch die spannende Gastronomie rund um den Ludwigkirchplatz, der großzügige Raum, wo man die Flaschen großzügig inszenieren könne, so Kai Fryder. Insgesamt umfasst das Sortiment des „Atelier Ginza“ inzwischen 200 Produkte. „Da kratzen wir gerade mal an der Oberfläche.“ So sei auch damals die Idee für das Angebot entstanden, denn in Japan gebe es viele Sachen, die es eben wirklich nur da gebe. „Das ist anders als in anderen Ländern“, sagt er. „Auf der Welt ist alles so uniform geworden, die meisten SAchen ähneln sich, es gibt die gleichen Geschäfte und die gleichen Produkte. In Japan ist das anders. Das ist dann unsere Mission geworden, diese Sachen rüberzubringen.“ Und als sie in Japan Freunde besuchten und diese besonderen „Sachen“ probierten, die sie selbst da noch nicht kannten, war die Idee geboren.

Doch was ist dieser ominöse Shochu überhaupt? „Shochu ist eine Spirituose, die nur einmal destilliert wird, sodass man den Rohstoff noch rausschmeckt“, erklärt Ilka Fryder. Zudem habe er klassisch 25 bis 30 Prozent Volumenalkohol im Unterschied zu Wodka oder Gin mit ihren 40. Shochu wird in Japan sehr viel zum Essen getrunken, nicht pur, sondern mit kaltem Wasser oder Eiswürfeln verlängert. Insgesamt gibt es 53 zugelassene Rohstoffe, was ihn schon stark von Sake unterscheidet, der immer aus Reis besteht. Reis, Gerste, Süßkartoffel seien die Klassiker, es gebe aber auch welche aus Shiso, braunem Zucker, Buchweizen, Ingwer, grüne Paprika, Milch, Sesam. Und da Shochu eben weniger Alkohol enthalte, sei er im Rahmen des Trends hin zu weniger starken Ingredienzien auch spannend für Cocktails.

Eine Einkaufsstraße im Shoppingbezirk Ginza in Tokio.
Eine Einkaufsstraße im Shoppingbezirk Ginza in Tokio. © AFP | Kazuhiro Nogi

Diese Spezialitäten nach Deutschland zu holen ist nicht ganz einfach. Die Fryders arbeiten mit einer Firma in Osaka zusammen. Die sammelt die Lieferungen der einzelnen Destillerien aus allen Provinzen, fasst sie zu einem Container zusammen und verschifft sie nach Deutschland. So könne man auch mit sehr kleinen Herstellern zusammenarbeiten oder eben auch nur mal zehn Kisten bestellen, um erst mal zu schauen, wie das überhaupt in Deutschland ankommt.

Ilka und Kai Fryder arbeiten dabei mit großen Firmen zusammen aber auch mit Herstellern, die gerade mal fünf bis sieben Mitarbeiter haben und nur 50.000 Liter im Jahr herstellen, was „total wenig“ für eine Destillerie sei, so Kai Fryder. „Das sind dann aber die wahren Schätze, das sind oft Firmen, die seit hunderten von Jahren bestehen und auch heute noch im Familienbesitz sind. Das heißt der ‚Toji‘, der Brennmeister, ist dann ein direkter Nachfahre desjenigen, der das vor 300 Jahren aus der Taufe gehoben hat.“ Auch für diese Firmen sei das aufregend, wenn jemand aus Deutschland komme, die würden ihre Produkte normalerweise in die umliegenden Dörfer verkaufen. „Wenn es hochkommt, nach Japan, wenn sie ganz groß sind, exportieren sie vielleicht nach China oder Singapur. Aber nach Europa? Das ist für die unvorstellbar.“

Blick in eine Shochu-Farbik in der japanischen Region Miyazaki. Der Shochu wird in Keramik-Töpfen hergestellt. Oura Shuzo wurde 1909 gegründt und ist bis heute im Familienbesitz. Pro Jahr werden nur 50.000 Flaschen hergestellt.
Blick in eine Shochu-Farbik in der japanischen Region Miyazaki. Der Shochu wird in Keramik-Töpfen hergestellt. Oura Shuzo wurde 1909 gegründt und ist bis heute im Familienbesitz. Pro Jahr werden nur 50.000 Flaschen hergestellt. © picture alliance / NurPhoto | Alessandro Di Ciommo

Der Transport nach Europa dauert eigentlich nur vier bis fünf Wochen, zurzeit jedoch wesentlich länger, wegen der Probleme mit den Huthi-Rebellen im Roten Meer. Und das sei das nicht das einzige: Zuletzt habe es ein Erdbeben in Ishikawa gegeben, wo der absolute Bestseller der Fryders herkommt. Das verzögerte den Start des Transports schon um vier Wochen. „Da liest man die Zeitung mit ganz anderen Augen“, schmunzelt Kai Fryder.

Angefangen haben sie ganz klein, mit einer Palette. „Das passte zu Hause bei uns noch in den kleinen Flur rein.“ Ausgesucht hatten sie gerade mal vier Produkte. Einen Whisky mit Soda in der Dose, einen Highball, der dort viel getrunken wird, ein sogenannter Kombini. Zudem ein Wodka mit Fruchtgemisch. Zahlreiche japanische Restaurants waren Abnehmer, die japanische Regierung fördert den Sake-Absatz, der japanische Whisky erlebt einen Boom, das alles half beim Aufbau des Geschäfts. Hinzukommt Gin, der es in Deutschland auch schon in die Supermärkte geschafft hat. Das alles bildet die Basis für das „Atelier Ginza“. Jetzt haben die Fryders die größte Auswahl an japanischen Spirituosen in Europa.

Shochu wird in Japan häufiger zum Essen getrunken als Sake.
Shochu wird in Japan häufiger zum Essen getrunken als Sake. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Rodrigo Reyes Marin

Inzwischen kommen auch Sterneköche wie Christian Bau oder René Frank zu ihnen, um sich die passenden Getränke für ihre Menüs auszusuchen. Dazu zählt auch Mirin, der hier nur als Kochwein bekannt ist. Lediglich 20 Brauereien in Japan produzieren trinkfähigen Mirin, der im „Atelier Ginza“ ist zusätzlich 20 Jahre gealtert. Ein Drittel ihres Umsatzes machen sie mit der Gastronomie, der Rest sind Privatkunden. Hier hat ihnen Corona geholfen, weil viel über den Onlineshop bestellt wurde. „Das ist unser großes Standbein“, sagt Ilka Fryder. Auch Cocktailbars kommen zum „Atelier Ginza“, um ihren Kunden was völlig Neues zu bieten, was die Bar um die Ecke eben nicht hat. Und da Fryders auch selbst viel mit ihren Produkten exeperimentiert haben, können Sie wertvolle Tipps gleich mit dazu geben. „Alles, was so richtig knallt, finden Bars richtig gut“, lacht Ilka Fryder.

Im Mai geht es dann wieder nach Japan, auch um die Beziehungen zu pflegen. Einmal im Jahr ist die weite Reise Pflicht. Vor Ort touren sie durch die Städte, durch Bars, Kaufhäuser, kleine Läden und kaufen Proben von neuen Sachen. „Die probieren wir dann im Hotelzimmer, die sind immer voller Flaschen, das sieht aus, als würden da irgendwelche Partys oder Saufgelage abgehalten“, so Kai Fryder. So stellen sie sich eine Auswahl zusammen, die sie nach Deutschland exportieren wollen und genießen gleichzeitig das Land, die Leute und das Essen in Restaurants, die hier nach ihrer Aussage alle zwei Sterne hätten.

Die teuerste Flasche im Angebot ist ein Yamasaki Whisky für stolze 12.000 Euro. Die steht aber nicht im Laden. „Da wollen wir erstmal gucken, ob die Alarmanlage auch vernünftig funktioniert“, so Kai Fryder. Ihr Hauptaugenmerk liegt aber eben auf dem Shochu. „Das ist die größte Auswahl an Shochu außerhalb Asiens“, sagt Fryder selbstbewusst. Nicht einmal in New York, Paris oder London gebe es diese Menge. Von den 53 möglichen Rohstoffen haben sie 13 und insgesamt 38 verschiedene Shochus, die man dort erwerben kann. Zu allen können die beiden eine faszinierende Geschichte erzählen, von Söhnen, die auszogen, die Destillierkunst zu erlernen und in jahrelanger perfektionistischer Arbeit da zu Hause herzustellen, von Vätern, die mit Argusaugen diese Entwicklungen überwachen. Das gleiche zu den Gins, Whiskys und ihrem außergewöhnlichsten Produkt, wie sie selbst sagen: japanischer Grappa. Den würden sogar italienische Kunden bei Events bestellen.

Scheitern gehört auch dazu, denn nicht immer bekommen die Fryders auch das, was sie gerne hätten, zum Beispiel weil etwas ein lokales Produkt ist. „Das gibt es dann nur in Miyazaki. Die verstehen die Anfrage auch gar nicht, Deutschland sei schließlich nicht Miyazaki.

Wer jetzt neugierig ist, sollte im „Atelier Ginza“ vorbeischauen, viele der Shochus und anderen Spirituosen kann man vor Ort probieren und wirklich einzigartige Erfahrungen machen, wenn einer davon zum Beispiel zwar aus Süßkartoffel gemacht ist, aber rein nach Lichi schmeckt oder nach Marzipan. Die Aromatiken sind so vielfältig wie ihre Hersteller und alle findet man sie in Wilmersdorf. Wenn es „Ding Dong! Irasshaimase“ beim Öffnen der Tür heißt, dann ist man richtig.

Atelier Ginza, Pfalzburger Str. 20, 10719 Berlin, Mo bis Sa 15 bis 19 Uhr, ginza-berlin.com