Berlin. Wer ist politisch zuständig, wenn es um Obdachlosigkeit geht? Kolumnist Dieter Puhl macht eine überraschende Rechnung auf.

Ich muss heute mal bitte ein paar Menschen um Unterstützung bitte, in Berlin, in Deutschland. Voranstellen möchte ich, die wenigsten obdachlosen Menschen haben Zeit, der Tod ist ihr ständiger Begleiter. Ihre Lebensumstände sind unvorstellbar. Leider gehört auch dazu, dass viele nichts von ihnen wissen wollen.

Nichts desto trotz: Wie wollen Obdachlosigkeit überwinden, in Berlin, in Deutschland, auch in Europa. Das kommunizieren wir seit Jahren. Eine Herkulesaufgabe ist das, eine Jahrhundertaufgabe gar, gibt es Obdachlosigkeit doch seit weit mehr als 100 Jahren in unserer Gesellschaft. Um die Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts gab es in Berlin mehr obdachlose Menschen als jetzt. „Wie soll das denn ausgerechnet jetzt klappen?“ denken etliche. „Und dann noch gerade bei dieser Bundesregierung?“, meinen weitere.

Über ein Jahrhundert hinweg hat sich nicht viel verbessert. Nun hat die Bundesregierung einen Aktionsplan dazu verabschiedet, das Ziel wurde erneut bestätigt und geschärft; Klara Geywitz (SPD), Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, führt die Regie, hält die Fäden zusammen. Und richtig, denkt man, „die ist doch für Wohnungen zuständig, das ist ihr Job.“ Nicht ganz falsch, bedingt auch richtig!

Statistiken zeigen, dass sehr viele der obdachlosen Menschen psychisch erkrankt sind

Ich habe bestimmt zehn Artikel dazu gelesen. Als „vage“ wurden die Pläne zu oft eingeordnet, „viel Luft“, hieß es, „überschaubarer Inhalt“. Untersuchungen und Statistiken zeigen, dass sehr viele der obdachlosen Menschen psychisch erkrankt sind. Diese Erkrankungen sind oft die Ursache für die Notlagen. Ich habe in diesem Zusammenhang Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vermisst. Kranke Menschen – das ist sein Job.

Sehr viel hat mit Arbeit, Beschäftigung und Geld zu tun. Hast du nichts zu tun, fällt dir die Decke auf den Kopf und du fängst vielleicht an zu trinken. Das bekommt Frau Geywitz auch nicht hin. Hubertus Heil (SPD) ist meiner Sicht auch ein Macher – aber schade, er war bei dem Thema auch abwesend.

Lisa Paus (Grüne) ist Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie wohnt hier bei uns um die Ecke, wir kennen uns, mehrfach arbeitete sie unter anderem in der Bahnhofsmission Zoo mit. Ich mag sie! Lisa, ich habe Dich bei der Vorstellung des Planes vermisst. Es gibt doch Überschneidungen, da bist Du zuständig.

Ich vermisse klare, gebündelte Pläne der Kirchen und der Gewerkschaften

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat seine Doktorarbeit zum Thema Obdachlosigkeit geschrieben. Er ist den betroffenen Menschen und dem Thema nah, besucht Einrichtungen, spricht mit den Menschen, schiebt an, spendet Geld. Sie wissen und merken das, Herr Bundespräsident, ich wertschätze Sie, mag Sie. Mit ganz viel Respekt und dem Wissen, auch Ihre Möglichkeiten sind begrenzt: Ich wünsche mir noch mehr von Ihnen. Eine Jahrhundertaufgabe! So gehen Politiker in die Geschichtsbücher ein. Es wird viel Widerspruch geben, ihnen würde ich aber den Erfolg gönnen.

Zurück zum Kabinett: Inneres und Justiz – Obdachlosigkeit ist nicht unbedingt deren Kerngebiet, aber ihre Mithilfe würde noch mehr Mut machen. Und ohne Finanzen, also Herrn Lindner, bin ich misstrauisch, da geht doch gar nichts. Ohne die Außenministerin übrigens auch nicht, denn natürlich geht in Sachen Obdachlosigkeit ohne die Zusammenarbeit in Europa wenig.

Ich habe jemanden vergessen? Nein. Alle sind betroffen, Verkehr, Bildung… Wir alle sind gefragt und ich vermisse klare, gebündelte und abgestimmte Pläne der Kirchen, der Gewerkschaften, anderer Institutionen. Alle sind alle – und immerhin wollen wir unsere Gesellschaft ändern, zum Guten wenden.

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Kleiner Tipp und großer Wunsch: Medien können kleine Wunder bewirken. „Ein Herz für Kinder“ hat mir gut gefallen. Nur wünsche ich mir auch ein Herz für Kalle und für Ursula, die auf der Straße leben.

Das klingt nicht nur kompliziert, das ist es auch. Für hochgekrempelte Ärmel, den Ruck bei einer Jahrhundertaufgabe, die Regie, dafür ist der Chef zuständig. Ich habe Herrn Scholz vermisst. Denn das ist doch eigentlich durch und durch ein kerniges SPD-Thema.