Berlin. Vor drei Jahren verschwand die 15-jährige Rebecca Reusch aus Neukölln. Bis heute fehlt von dem Mädchen jede Spur.

Die erste große Liebe, der erste Liebeskummer, Träume von einer Zukunft auf eigenen Beinen: All das sollte Rebecca Reusch heute umtreiben. Im September wäre sie 18 Jahre alt und damit volljährig geworden. Die Schule hätte sie längst fertig, vielleicht würde sie für das Abitur lernen oder studieren, vielleicht sich mit ihrem Chef auf der Ausbildung herumärgern oder sich vielleicht sozial engagieren, bis sie genau weiß, wie es weitergehen soll.

Über all das kann man heute nur spekulieren, wie Rebeccas Leben nach dem 18. Februar 2019 verlaufen wäre – dem Tag ihres Verschwindens. Vor genau drei Jahren wurde die Schülerin aus dem Berliner Ortsteil Britz das letzte Mal lebend gesehen. Zwar war das Bild des hübschen Mädchens mit den hochgesteckten blonden Haaren und dem Schmollmund danach in ganz Berlin und weit darüber hinaus zu sehen.

Doch bis heute gibt es im wohl spektakulärsten und bekanntesten Vermisstenfall Deutschlands keine Spur. „Es gibt leider keine Neuigkeiten in dieser Sache“, räumt die Berliner Staatsanwaltschaft kurz vor dem dritten Jahrestag von Rebeccas Verschwinden ein – wie bereits vor einem Jahr und im Jahr davor. An den bisherigen Einschätzungen habe sich nichts geändert. Rebecca hat demnach den 18. Februar 2019 nicht überlebt.

„Rebecca hat Haus ihres Schwagers nicht lebend verlassen“

„Wir gehen weiterhin davon aus, dass Rebecca das Haus des Schwagers nicht lebend verlassen hat“, sagte der ermittelnde Staatsanwalt Martin Glage bereits 2020 kurz vor dem ersten Jahrestag des Verschwindens. Sämtliche Alternativen könne man ausschließen. „Für ein freiwilliges Verlassen der häuslichen Umgebung gibt es überhaupt keine Hinweise.“ Gleiches gelte auch für eine Entführung aus dem Haus oder auf dem Schulweg.

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Der Morgen des Verschwindens lässt sich nur bis zu einem gewissen Punkt rekonstruieren. Rebecca übernachtete nicht bei ihren Eltern sondern im Haus ihrer älteren Schwester in der Siedlung Neuland I in Britz. Das tat sie oft – unter anderem auch, weil sie von dort einen kürzeren Schulweg hatte. Sie schläft im Wohnzimmer, als der 27 Jahre alter Schwager in den Morgenstunden nach Hause kommt. Er war auf einer Feier und ist alkoholisiert. Die Schwester hat das Haus bereits verlassen.

Schnell fiel der Verdacht auf Rebeccas Schwager, der zum Zeitpunkt ihres Verschwindens mit ihr allein im Haus war. Ob er das Mädchen mit Absicht oder im Affekt etwa bei einem Übergriff getötet haben soll, bleibt unklar. Er bestritt stets etwas mit dem Verschwinden seiner Schwägerin zu tun zu haben.

Schwager ist bis heute der Hauptverdächtige

Die Ermittler sammelten eine Reihe Indizien, die gegen den Schwager sprechen sollen. Rebeccas Telefon war demnach bis 7.46 Uhr im Wlan eingeloggt – verließ also zu diesem Zeitpunkt das Haus oder wurde abgeschaltet. Ihr Schwager gab an, um sechs Uhr heimgekommen und bis acht geschlafen zu haben. Von seinem Telefon wurden allerdings während dieses Zeitraums Nachrichten verschickt.

Und dann ist da vor allem der himbeerrote Renault Twingo des Schwagers, in dessen Kofferraum Rebeccas Haare und Spuren einer Decke gefunden wurden, die mit dem Mädchen aus dem Haus verschwand. Um 10.47 Uhr wurde der Wagen von einem automatischen Kamerasystem der Brandenburger Polizei auf der Autobahn 12 in Richtung Frankfurt (Oder) fotografiert – knapp 36 Stunden später ein zweites Mal in entgegengesetzter Richtung. Zeugen wollen den Wagen auch abseits der Autobahn gesehen haben. Die Ermittler gingen damals davon aus, dass er sich irgendwo der Leiche entledigte. Er selbst schweigt zu den Gründen für seine Fahrt.

Stationen der erfolglosen Suche nach Rebecca
Stationen der erfolglosen Suche nach Rebecca © BM Infografik

Zehn Tage nach Rebeccas Verschwinden wird ihr Schwager festgenommen, kurz darauf jedoch wieder freigelassen. Vier weitere Tage später wird Haftbefehl wegen des dringenden Tatverdachts des Totschlags erlassen. Zu Hunderten suchen Polizisten über Wochen den Süden Berlins und die Wälder entlang der Autobahn ab – Hunde, Hubschrauber und Taucher kommen zum Einsatz. Sie finden nichts, der Verdacht zerbröselt und der Schwager kommt Ende März 2019 wieder frei. Bis heute kann ihm die Staatsanwaltschaft nichts nachweisen.

Familie geht davon aus, dass Rebecca entführt wurde

Dem steht eine andere vermeintliche Wahrheit beinahe unversöhnlich gegenüber – die der Familie. Sie betonen bis heute die Unschuld des Schwagers. Nach dem Verschwinden gaben sie vor allem dem Boulevard unzählige Interviews, in denen sie den Mann ihrer ältesten Tochter in Schutz nahmen. Und sie äußerten immer wieder die Hoffnung, dass Rebecca noch lebt. Demnach sei das Verschwinden aufgefallen, nachdem das Mädchen nicht in der Schule ankam.

Am Telefon habe ihr der Schwager morgens noch versichert, dass Rebecca das Haus verlassen habe, sagte die Mutter zuletzt in einer Dokumentation. Familie Reusch geht nach eigenen Angaben davon aus, dass sie auf dem Weg dorthin entführt wurde. Von einem Mann, den sie kurz zuvor im Internet kennenlernte, war einst die Rede. Eine Spur, die nichts ergeben habe, hieß es dazu von Ermittlerseite. Staatsanwalt Martin Glage sprach vor zwei Jahren in diesem Zusammenhang von „Verschwörungstheorien“. Die Familie warf den Ermittlern wiederum immer wieder vor, in die falsche Richtung zu ermitteln.

Mit mehreren Fahndungsfotos wurde nach Rebecca gesucht.
Mit mehreren Fahndungsfotos wurde nach Rebecca gesucht. © BM | dpa/Polizei Berlin

In einem Podcast zum Fall Rebecca, der im vergangenen Jahr erschien, kamen auch zwei Ex-Freundinnen des Schwagers zu Wort. Sie berichteten, dass er sie damals oft geschlagen, brutal verprügelt und auch eingesperrt haben soll, wenn es Streit gab. Angezeigt hätten sie ihn nicht, die Vorwürfe sind der Polizei aber bekannt, wie Ermittler bestätigten.

In Berlin werden derzeit mehr als 300 Menschen vermisst

Derzeit gelten in Berlin 306 Menschen als vermisst, wie die Polizei auf Anfrage der Berliner Morgenpost mitteilte. Darunter seien 197 Erwachsene, 55 Jugendliche und 54 Kinder. Dazu würden aber auch Altfälle zählen, die bis zu 40 Jahre zurückliegen.

Vermisste Personen tauchen meist schnell wieder auf, wobei die Polizei in diesem Zusammenhang statistisch nicht erfasst, ob sie gesund oder tot aufgefunden werden. Von 5272 Fällen im vergangenen Jahr wurden 5243 aufgeklärt, von den 5057 im Jahr 2020 tauchten 5047 Menschen wieder auf. Im Jahr 2019 wurden in Berlin insgesamt 5119 Personen als vermisst gemeldet, 5114 davon wieder aufgefunden. Einer der übrigen fünf ist Rebecca Reusch, von der bis heute jede Spur fehlt.