Berlin. Ebensperger Berlin präsentiert Kunst in ehemaligen Lost Places: dem Kreuzberger Fichtebunker und einer ehemaligen Kirche in Moabit.

Kalt ist es in den düster-dunklen Gängen des Fichtebunkers. Von einem Rundgang gehen links und rechts kleine Räume ab. „Hier werden wir mit Beginn des Gallery Weekends Videos von Heiner Franzen zeigen. Sie heißen „Anchors“. Seit gut zehn Jahren sammelt der in Berlin lebende Künstler non-verbales Videomaterial von Moderatorinnen und Moderatoren internationaler Nachrichtensendungen. In diesen Video-Loops geht es Franzen um die Momente, in denen jemand in der Sendung schweigt – sei es wegen einer Störung, oder weil er oder sie gerade Gäste diskutieren lässt. Das umfangreiche Quellmaterial entwickelte er zu Video-Loops weiter.

Im Fichtebunker hat die Galerie Ebensperger ein Zwanzigstel der Fläche gemietet.  
Im Fichtebunker hat die Galerie Ebensperger ein Zwanzigstel der Fläche gemietet.   © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Als zweites werden auf der rund 400 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche im Erdgeschoss des Fichtebunkers Zeichnungen, Malereien und Keramiken des Leipziger Künstlers Harry Hachmeister unter dem Titel „Selbstportrait mit Hausschuhen“ zu sehen sein. „In seiner ersten Einzelausstellung bei Ebensperger Berlin greift Hachmeister die fragile Körperlichkeit des Menschseins auf, die sich in einer seltsamen Häuslichkeit voll feinsinnigem Humor und Sinnlichkeit ausdrückt und so einen Kontrapunkt zu der rauen Architektur des Fichtebunkers schafft“, so der Galerist.

Der Kreuzberger Fichtebunker ist ein West-Berliner Infrastrukturmonstrum mit langer Geschichte. 1884 als Gasometer in Klinkerbauweise mit Maßen von 56 Metern Durchmesser und 22 Meter Höhe errichtet, wurde er im dritten Jahr des Zweiten Weltkrieges zu einem Hochbunker für Tausende Menschen mit bis zu drei Meter dicken Mauern aus Beton umgebaut. Auf verschiedene Nutzungen von Flüchtlings- bis Obdachlosenheim folgte Anfang der 1960er-Jahre bis zum Mauerfall die Funktion als Lebensmittelreserve des Berliner Senats. Für den Fall einer erneuten Berlin-Blockade wurden Hunderttausende Dosen mit Lebensmitteln gebunkert.

Kunst in Berlin

Außer einer Bebauung mit einem Dutzend Luxuswohnungen in der Dachkuppel verbrachte die architektonische Landmarke seit 1990 viele Jahre mit Leerstand. Erst in den letzten Jahren kam Bewegung in die weitere Verwendung. Schließlich erwarben die Macher des interdisziplinären Kulturveranstalters „silent green“ gemeinsam mit Partnern den Fichtebunker. Von den rund 8000 Quadratmetern Fläche hat Ebensperger ein Zwanzigstel angemietet. Der Rest soll mit der üblichen Berliner Verwaltungsgeschwindigkeit in kulturelle Veranstaltungsräume, Ateliers, auch Proberäume für Bands umgewandelt werden.

Gallery Weekend Berlin: Ebensperger ist ein Kraftfeld der Berliner Kunstszene

Erst vor einem Dreivierteljahr erfolgte der Umzug aus dem Krematorium Wedding. Dorthin war Patrick Ebensperger 2013 nach Stationen in Graz und einer ersten Galerie in der Geschwister-Scholl-Straße in Mitte gezogen. Und hatte mit seiner Mischung aus zeitgenössischer Cross-Medialer Kunst in den außergewöhnlichen Räumen für Furore gesorgt. Mit Dutzenden Ausstellungen von Videokunst, Installationen, Filmen, Soundprojekten, Zeichnung, Malerei und Skulptur zählte Ebensperger schnell zu den Kraftfeldern der Berliner Kunstszene, die auch über die Hauptstadt hinaus Wirkung zeigen.

Die ehemalige katholische Kirche in Moabit wird zum Gallery Weekend zur Ebensperger Kapelle. 
Die ehemalige katholische Kirche in Moabit wird zum Gallery Weekend zur Ebensperger Kapelle.  © FUNKE Foto Services | Reto Klar

So werden dieses Frühjahr die von der Galerie vertretene Künstler Sophie Utikal und Mark van Yetter den Galeriestand auf der Mailänder Kunstmesse „miart“ bespielen. Jan St. Werner ist Teil des deutschen Beitrages der diesjährigen Venedig Biennale. Daneben spielen Messen nach wie vor eine wichtige Rolle im Kunstgeschäft. „Der Kunstmarkt hat sich weniger verändert als angenommen. Die Digitalisierung funktioniert in unserem klassischen Galeriebereich, in dem man von analoger Vermittlung und zwischenmenschlichen Gesten und Beziehungen lebt, weniger gut, als wir es vor vier, fünf Jahren vermutet haben. Deshalb ist für uns das klassische Modell der Kunstmesse (noch) alternativlos. Alles nur online funktioniert im Kunstbetrieb nicht, wir brauchen den direkten menschlichen Kontakt, mit den Künstlern, den Künstlern untereinander, und auch den Galeristen und Sammlern“, erklärt der 50-Jährige.

Harry Hachmeister: Selbstportrait in Hausschuhen, 2020. 
Harry Hachmeister: Selbstportrait in Hausschuhen, 2020.  © Ebensperger | Harry Hachmeister

Einen immensen Reiz üben auf den Vollblutgaleristen Räume „aus einer anderen Zeit, die wir mit Kunst füllen und neu beleben“. Nächstes Mammutprojekt ist „Kirchmöser“ in Brandenburg an der Havel. Dort sollen ein ehemaliges Krankenhaus, eine ehemalige Schule und ein verlassenes Theater Künstlerinnen und Künstlern neue Räume bieten, Informationen unter www.seegarten.art im- Internet. „Aber das ist alles noch in der Planung“. Konkret im Umbau ist ein weiterer Ort in Berlin, für den Ebersperger und „silent green“ mit der Katholischen Kirche einen langjährigen Vertrag für kulturelle Nutzung abgeschlossen hat.

Heiner Franzen, Anchors, 2023. 
Heiner Franzen, Anchors, 2023.  © Foto: Ludger Paffrath | Heiner Franzen

Im Hof eines 60er-Jahre-Wohnhauses steht ein backsteinernes Kuriosum, ein ehemaliges Gotteshaus, dessen vorderer Teil wohl ebenso wie eine Handvoll umliegende Mietshäuser im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs zerstört wurde. Nur der rotbraune Stummelbau zeugt von der Vergangenheit in einem Hof, dessen Vorderseite Nachkriegsbauten abschließen. Die Räume auf zwei Ebenen sollen angeblich aus dem Ostblock geflüchteten Frauen als Unterkunft gedient haben, auch ein Altar befand sich im Erdgeschoss. „Das Gebäude wurde entweiht und stand lange leer. Wir bauen es für das „Luxoom Lab“ um, welches im Sommer 2024 in die Räume einziehen wird, sie waren bereits Mieter im ehemaligen Krematorium Wedding“, so Ebensperger. Lediglich drei Tage zum Gallery Weekend werden die Räume für eine Dialog-Ausstellung mit Aktfotos der renommierten Fotografin Gundula Schulze-Eldowy und Skulpturen des 2012 verstorbenen Wiener Altmeisters Franz West genutzt. „Ich bin selbst sehr gespannt auf das sehr kurze Zusammentreffer der Arbeiten dieser beiden in den rohen Räumen“, so der Galerist.

Fichtebunker, Fichtestraße 6, Kreuzberg, Heiner Franzen, Anchors, Harry Hachmeister, Selbstporträt in Hausschuhen, 26.04 bis 15.06. Öffnungszeiten zum Gallery Weekend: Eröffnung: 26. von 18 bis 21 Uhr, 27. von 11 bis 19 Uhr, 28. von 11 bis 18 Uhr, Galerieöffnungszeiten: Di. - Sbd. 12 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung.

Ebensperger Kapelle, Waldstraße 52, Moabit, Gundula Schulze Eldowy, Aktportraits, Franz West, Works from the Diethardt Collection, nur während des Gallery Weekends, 26. von 18 bis 21 Uhr, 27. von 11 bis 19 Uhr, 28. von 11 bis 18 Uhr. Alle weiteren Informationen hier.