Berlin. Im „Gadjo-Museum“ sehen sich Deutsche selbst als Objekt ethnologischer Forschung ausgestellt. Ein eindrücklicher Perspektivwechsel.

„Willkommen im Gadjo-Museum, das Ihnen die Gesellschaft und Kultur der Gadjé von ihrer Entstehung bis heute näher bringt und verständlich macht. Gegründet 1889, konserviert unsere ehrwürdige Institution mehr als 150.000 Objekte: Archäologische und anthropologische Sammlungen, die von den größten Experten der Gadjologie zusammengestellt wurden.“ Gadjé, das sind Nicht-Roma und so oder so ähnlich könnte der Einführungstext eines „Gadjo-Museums“ klingen, eines Museums, das die Gadjé zum Objekt ethnologischer Forschung macht.

Ein solches „Gadjo-Museum“ konzipiert der französische Künstler Gabi Jiménez in den Räumen der Kai Dikhas Stiftung am Moritzplatz. Es zeigt ein „typisch deutsches“ Wohnzimmer. Tapete, Vitrinenschrank, Kuckucksuhr, die Bierflasche auf einem Spitzendeckchen. Ein Asterix-Heft, Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer neben Reichsbürgerliteratur.

Die Deutschen als Objekt der Völkerkunde

Manches wirkt in diesem Wohnzimmer vertraut, anderes überspitzt, falsch, oberflächlich dargestellt. So wäre die „Kultur der Deutschen“ in einem Völkerkundemuseum gezeigt worden, ohne Rücksicht auf die Selbstwahrnehmung der Ausgestellten. Jiménez schlüpft in die Rolle des Ethnologen und spielt mit deren Darstellungsformen. Zuerst wurde die Installation als Teil einer Ausstellung im staatlichen Museum MUCEM in Marseille gezeigt, die 100.000 Besucher zählte.

Jiménez ist Gitan, wie eine der vielen Roma-Kulturen in Frankreich heißt. Und er dreht den Blick um. So wie deutsche, französische und andere europäische Ethnologen Kulturen, darunter die seine kategorisiert und auf Stereotype reduziert haben, so hält er ihnen in seiner Installation den Spiegel vor.

Wer darf Individuum sein, wer bleibt Repräsentant einer Gruppe?

Die Gadjé, auch die deutschen, beobachtet Jiménez schon lange, etwa auf französischen Campingplätzen, wo deutsche Urlauber Socken in den Adiletten tragen. Der Vater der ausgestellten Gadjo-Familie, Franz, trägt ebensolches Schuhwerk, dazu Bademantel, Deutschlandblumenkette und eine Rolle Klopapier in der Hand. Die Technik des Klopapiers haben die Gadjé zur Hygiene nach dem Toilettengang entwickelt, erklärt Jiménez.

Der Künstler GABI JIMÉNEZ / GADJO-MUSEUM in seinem Werk am 10. April 2024 in der Stiftung Kai Dikhas und Kunstraum Dikhas Dur in der Prinzenstraße in Berlin. Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services
Der Künstler GABI JIMÉNEZ / GADJO-MUSEUM in seinem Werk am 10. April 2024 in der Stiftung Kai Dikhas und Kunstraum Dikhas Dur in der Prinzenstraße in Berlin. Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Zu den Beobachtungen mischt sich falsches, reduziertes, imaginiertes. Ein Sexspielzeug wird als Dekorationsobjekt inszeniert – ein Hinweis auf das mangelnde Bewusstsein der Gadjé, dass es Anstößiges zu verbergen gilt. Der Blick von außen, geht er von einer Position der Macht aus, kann seine Vorstellung in der allgemeinen Wahrnehmung durchsetzen. Den ausgestellten Gadjé wird die Individualität verweigert, sie werden verallgemeinert und zu Klischees reduziert.

Kategorisierung von Kulturen: das Vorfeld der Gewalt

Ein Vorgang, der Jiménez vertraut ist. Die verschiedenen Roma-Kulturen über einen Kamm zu scheren, da beginne schon die Diskriminierung. „Es gibt Manusch, Traveler, reisende Leute, Gitanos, Gitans, Sinti und Roma“, sagt er. Hat sich etwas verbessert in den vergangenen Jahrzehnten? Kaum, sagt Jiménez, oder im Gegenteil. Gerade im Moment hätten viele Angst vor dem Rechtsruck in Europa, während Antiziganismus die Salonfähigkeit, anders als etwa Homophobie, nie verloren habe.

Geboren 1964 in Frankreich als Sohn spanischer Eltern fand Jiménez zur Kunst und reüssierte. 2007 vertrat er Frankreich bei der Biennale in Venedig mit einem thematisch den Roma gewidmeten Pavillon, der französische Staat und der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kauften seine Werke. In Berlin stellt Jiménez schon zum dritten Mal aus. Ein besonderer Ort für seine Arbeit, hat hier doch die Kategorisierung von Menschen zum Genozid an den Juden, aber auch den Roma geführt.

„Gadjo-Museum“, Vernissage am 11. April um 19 Uhr, ab 12. April bis 1. Juni, Do-Sa von 16 bis 19 Uhr in der Stiftung Kai Dikhas und Kunstraum Dikhas Dur, Prinzenstr. 84.2, 10969 Berlin

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