Berlin. Im Gläsernen Labor auf dem Forschungscampus Berlin-Buch können Schülerinnen und Schüler tief in die Naturwissenschaften eintauchen.

Jana Ehrhardt-Joswig

Wenn sie Schülerinnen und Schüler zu einem Neurobiologie-Kurs im Gläsernen Labor begrüßt, stattet Claudia Jacob sie erst einmal mit besonderen Brillen aus und lässt sie Ball spielen. Claudia Jacob leitet das Gläserne Labor. Schnell breitet sich Gelächter aus. Die Brillen ändern den Sehwinkel, Werfen und Fangen funktioniert überhaupt nicht – so fühlt es sich an, wenn Gehirn und Nervensystem in die Irre geführt werden. „Ein solcher Auftakt weckt die Neugier auf das Thema”, sagt die Wissenschaftlerin.

Das Ziel: junge Menschen für Forschung begeistern

Ende der 90er Jahre kam der Gründungsdirektor des Max Delbrück Centers, Professor Detlev Ganten, auf die Idee, ein Informationszentrum zum Thema Gen- und Biotechnologie für Bürgerinnen und Bürger einzurichten. Dort sollten sie Wissenschaftlern bei der Arbeit im Labor über die Schulter schauen können. Doch Dr. Ulrich Scheller, damals Teamleiter Öffentlichkeitsarbeit bei der Campus Berlin-Buch GmbH (CBB), heute einer ihrer Geschäftsführer, war klar, dass Zusehen allein nicht reicht. „Um Menschen für die Forschung zu begeistern, müssen sie selbst Hand an Pipette und Reagenzglas legen können“, ist der Biochemiker überzeugt. Also wurde das Konzept noch einmal umgeschrieben. Im April 1999 öffnete das Gläserne Labor seine Pforten in der denkmalgeschützten Remise auf dem Forschungscampus als Schülerlabor. Am 19. April findet aus diesem Anlass ein Lehrkräftekongress statt, den das Gläserne Labor gemeinsam mit dem Schülerlabor-Netzwerk GenaU ausrichtet. Dem Netzwerk gehören Schülerlabore an Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Museen in Berlin und Brandenburg an.

Mehr als 20 Experimentierkurse für Schulklassen

Mit vier Versuchen zur Molekulargenetik ging das Gläserne Labor damals an den Start. Heute, 25 Jahre später, gibt es insgesamt sechs Labore. Damit gehört es zu den größten Einrichtungen seiner Art in Deutschland. Die CBB betreibt die Räumlichkeiten gemeinsam mit dem Max Delbrück Center und dem Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP). Zahlreiche Sponsoren und Partner, darunter das am Campus ansässige Strahlen- und Medizintechnikunternehmen Eckert & Ziegler unterstützen sie dabei. Zusammen bieten sie mehr als 20 Experimentierkurse zu Molekular-, Zell- und Neurobiologie, Chemie, Radioaktivität sowie Ökologie an. „Wir gehören zu den wenigen Schülerlaboren in Deutschland, in denen Jugendliche sogar Experimente mit der Genschere CRISPR-Cas9 durchführen können“, sagt Ulrike Mittmann, wissenschaftliche Leiterin des Labors für Molekularbiologie. Jüngere Kinder im Grundschul- und Kindergartenalter kommen im Forschergarten des Gläsernen Labors auf ihre Kosten. Daneben gibt es Arbeitsgemeinschaften für Schülerinnen und Schüler, Forscherferien, Lehrkräftefortbildungen, Vorlesungen und Laborkurse zur Studienvorbereitung. Gemeinsam mit dem Max Delbrück Center, dem FMP und dem Experimental and Clinical Research Center richtet das Gläserne Labor außerdem den Regionalwettbewerb „Jugend forscht“ Berlin-Brandenburg aus – zuletzt im Februar dieses Jahres.

„Unser wichtigstes Anliegen ist die Nachwuchsförderung“, sagt Ulrich Scheller. „Einerseits vermitteln wir Grundkenntnisse für alle, andererseits fördern wir besonders leistungsstarke Schülerinnen und Schüler, auch um sie auf eine Karriere in den Naturwissenschaften beziehungsweise der Life-Science-Branche vorzubereiten.“ Denn Nachwuchs ist überall knapp – auch in den Forschungslaboren. „Wir wollen den Jugendlichen vermitteln, dass Forschende sich nicht mit abstrakten Fragestellungen befassen, die außer ihnen niemand versteht, sondern dass ihre Arbeit die gesamte Gesellschaft betrifft“, sagt Co-Geschäftsführerin Dr. Christina Quensel. Deshalb stehen neben dem Schulstoff auch ethische Fragen auf der Agenda, etwa die Frage, wofür Tierversuche notwendig sind, warum bei Stammzelltherapien besondere Vorsicht geboten ist oder was der genetische Fingerabdruck über einen Menschen verrät. Der persönliche Kontakt von Forschenden und Schülern ist für beide Seiten anregend. „Es ist wichtig, ab und zu aus dem Elfenbeinturm der Grundlagenforschung herauszukommen und die eigene Arbeit leicht verständlich zu erklären“, sagt Quensel.

Spitzenforschung und Schulstoff unter einen Hut bringen

„Künftig möchten wir das Angebot des Gläsernen Labors noch stärker mit der aktuellen Forschung auf dem Campus verzahnen“, sagt Professorin Maike Sander, Wissenschaftliche Vorständin und Vorstandsvorsitzende des Max Delbrück Centers. Unter anderem sollen die Schüler an innovative Technologien wie Einzelzellsequenzierung oder neue bildgebende Verfahren herangeführt werden. Außerdem werden Forschende einen festen Platz in den Kursen bekommen – wenn auch nicht immer persönlich vor Ort, so doch in Form kurzer Videos. Darin erklären sie ihre eigenen Experimente, die denen im Gläsernen Labor gar nicht so unähnlich sind. Zudem kommen neue Medien stärker zum Einsatz: Beispielsweise können die Schüler mithilfe von Virtual-Reality-Brillen in ein menschliches Herz hineinblicken.

Leidenschaft für die Forschung entfachen will auch Dr. Paola Eckert-Palvarini, Mitglied im Aufsichtsrat der Eckert & Ziegler SE. Die Strahlenphysikerin hat neben dem Forschergarten auch das Radioaktivitätslabor initiiert. Neben Experimenten vermittelt sie Wissen darüber, wie radioaktive Strahlung in Medizin und Industrie genutzt wird, etwa beim Messen der Dicke von Papierblättern oder in der Therapie gegen Krebs. „Von allen Dingen, die ich tue, erfüllen mich die Schülerkurse am meisten“, sagt Eckert-Palvarini. „Ich gehe danach mit dem Gefühl nach Hause, wirklich etwas Sinnvolles geleistet zu haben.“

Nach 25 Jahren ist das Gläserne Labor nun auf dem Weg, über die Grenzen des Forschungscampus‘ hinauszuwachsen. Im neuen Bildungs- und Integrationszentrum, das in der Ortsmitte von Berlin-Buch entstehen soll, wird es drei Labore betreiben – „technisch nicht ganz so hochgerüstet wie die Labore auf dem Campus, sondern eher familientauglich ausgestattet, sodass Kinder spielerisch an naturwissenschaftliche Themen herangeführt werden können“, erklärt Ulrich Scheller.

Junge Menschen für Naturwissenschaften zu begeistern – das war und ist die wichtigste Aufgabe des Gläsernen Labors. „Dabei wollen wir nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Neugier wecken und die Fähigkeit fördern, wissenschaftliche Methoden anzuwenden und zu hinterfragen“, sagt Professorin Dorothea Fiedler, Direktorin am FMP. Das ist auch Claudia Jacob wichtig – „gerade heute, da so viele Wissenschaftsskeptiker auf den Plan treten und ihre selbsterfundenen, alternativen Wahrheiten verbreiten.“ Selbst einmal in einen Kittel und damit in die Rolle von Forschenden zu schlüpfen, kann dabei helfen, sich ein fundiertes Urteil zu bilden.

Berliner helfen e.V. fördert Bildungsprojekt Lab2 Venture

Bei dem Bildungsprogramm Lab2Venture goes green erhalten Berliner Jugendliche der 8. bis 12. Klasse echte Projektaufträge von grünen Unternehmen oder Institutionen, die sie im Klassen- oder Kursverband umsetzen. Geforscht wird in der Schule, von zu Hause oder in einem der beteiligten Schülerlabore. Ziel ist es, Nachhaltigkeitszusammenhänge zu erarbeiten und den Forschergeist der Jugendlichen zu wecken, sowie Impulse für eine Berufsorientierung zu geben. Lab2Venture goes green ist ein Gemeinschaftsprojekt des Schülerlabor-Netzwerks GenaU, an dem sich das Gläserne Labor auf dem Campus Berlin-Buch, das NatLab an der Freien Universität und das Schülerforschungszentrum Berlin e.V. beteiligen. Das Projekt wird im Schuljahr 23/24 von Berliner helfen e.V. gefördert.