Berlin. Eine Studie von Fuss e.V. zeigt, wieviele E-Scooter falsch abgestellt oder hingeworfen werden. Wo es besser wird - und wo schlimmer.

Vermutlich gibt es nicht viele Berlinerinnen und Berliner, die noch nie über ein auf dem Gehweg unsachgemäß abgestellten oder hingeworfenen E-Scooter gestolpert sind. Denn zwei Drittel aller erfassten Fahrzeuge (66,6 Prozent) standen oder lagen behindernd, gefährdend, rechts- oder regelwidrig auf den Gehwegen und Plätzen der Hauptstadt. Das ist das Ergebnis einer am Freitag vorgestellten Studie des Fußgängerlobby-Verein Fuss e.V.

„Zum zweiten Mal hat der Fuss e.V. zwischen dem 25. und 30. August 2023 untersucht, wie viele Gefährdungen durch E-Scooter, Fahrräder und E-Mopeds von Sharing-Anbietern in Berlin verursacht werden“, erläutert Roland Stimpel, Sprecher von Fuss e.V. die Methodik. In drei repräsentativen Stadtgebieten wurden dazu alle Sharing-Zweiräder erfasst. Für die Erhebung wurden drei quadratische Gebiete mit je 500.000 Quadratmetern Größe ausgewählt:

Die touristische Berliner Mitte rund um Unter dem Linden und Friedrichstraße mit drei S- und U-Bahnhöfen


  • Als typischer Berliner Kiez Schöneberg beiderseits der Haupt- und Potsdamer Straße mit je einem S- und U-Bahnhof

  • Außerhalb des Rings Alt-Tempelhof mit weniger dichten Wohnquartieren, Parks und Geschäftsstraße mit zwei U-Bahnhöfen

  • Die wichtigsten Ergebnisse: Insgesamt wurden 632 Sharing-Zweiräder erfasst. Von diesen waren 212 sicher abgestellt, auch für stark Sehbehinderte und blinde Menschen. 422 Fahrzeuge behinderten oder gefährdeten dagegen Menschen, waren zudem gegen die Regeln der Straßenverkehrsordnung oder der Sondernutzungsgenehmigungen abgestellt.

    Abstell-Chaos rund um die Hauptstraße in Schöneberg

    Die Gesamtzahl der erfassten Fahrzeuge und der Anteil der störenden waren dabei 2022 und 2023 fast gleich. Der Schwerpunkt der Störungen hat sich jedoch verlagert: In der touristischen Mitte stand nach der Einrichtung von Abstellflächen noch etwa jedes zweite Fahrzeug im Weg (136). Im Schöneberger Wohn- und Geschäftsquartier um die Hauptstraße störten dagegen mehr als doppelt so viele Fahrzeuge wie im Vorjahr (194). In Tempelhof änderte sich wenig (26).

    Jeweils noch höhere Zahlen gibt es in allen drei Breichen, wenn das Kriterium „störend und gefährlich für Blinde“, angesetzt wird. Dann liegt die Zahl beim Spitzenreiter Schöneberg bei 214, in Mitte bei 158 und in Tempelhof bei 50.

    E-Scooter in Berlin: Hochrechnung ergibt zehn Millionen Verstöße

    Einer Hochrechnung des Vereins zufolge summiert sich die Zahl der Störungen von Sharing-E-Scootern und Fahrrädern im gesamten Stadtgebiet auf täglich mehr als 40.000 und im Jahr seit Inkrafttreten der Sondernutzungsbedingungen auf mehr als zehn Millionen Verstöße. Wer zu Fuß durch die Straßen ging, stieß damit im Schnitt alle 72 Meter auf ein Fahrzeug im Weg. Blinden steht statistisch sogar alle 59 Meter ein Fahrzeug gefährlich im Weg oder so am Wegrand, dass es die Orientierung erschwert.

    Ein möglicher Grund dafür, dass sich die Situation im Schöneberger Kiez verschlechtert hat, sieht Stimpel im geänderten Mobilitätsverhalten. „Besonders auffällig waren die Konzentrationen an Bahnhöfen, Haltestellen und Geschäftszentren“, so Stimpel. Das deute darauf hin, dass die Fahrzeuge hier vermehrt für Alltags- und Zubringerfahrten genutzt werden und weniger als Spaßmobile, die nach wie vor dominierende Nutzung in Mitte. In Mitte dagegen, wo im Vorjahr noch zwei Drittel aller Fahrzeuge im Weg gestanden und gelegen hatten, waren es jetzt nur noch die Hälfte.

    E-Scooter in Mitte: Entlastung durch feste Stationen

    Die deutlichste Entlastung von Wegen und Plätzen von Sharing-Fahrzeugen gab es an touristischen Hotspots in Mitte. Hier wurden vor allem rund um das Brandenburger Tor teils sehr große Abstellflächen eingerichtet, die bis zu 70 Fahrzeuge fassen. Zugleich wurde im Umfeld das Abmelden von der gebuchten Fahrt weitgehend unterbunden. Das hat bewirkt, dass an diesen Orten nicht mehr ganze Promenadenabschnitte, Platzflächen, Parkränder oder Haltestellenbereiche von wild abgestellten Fahrzeugen blockiert wurden.

    Erlaubt: Abstellplatz für E-Scooter- und Fahrräder vor dem Roten Rathaus in Mitte.
    Erlaubt: Abstellplatz für E-Scooter- und Fahrräder vor dem Roten Rathaus in Mitte. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

    „Allerdings werden solche Flächen in Berlin viel zu langsam eingerichtet: 2019 bis 2023 wurden von der BVG-Tochter Jelbi 140 geschaffen, Mitte 2024 sollen es 230 sein“, sagt Stimpel. Bei einer Durchschnittskapazität von 15 Zweirädern finden in ihnen rechnerisch 3550 Platz. Es gibt in Berlin allerdings nach Angaben von Fuss e.V. mehr als 50.000 E-Scooter, Fahrräder und E-Mopeds zum Verleih. „Bis alle rechnerisch untergebracht sind, würde es beim jetzt geplanten Tempo bis zum Jahr 2037 dauern – aber selbst das nur im theoretischen Fall, dass alle Fahrzeuge genau entsprechend den Kapazitäten der Abstellflächen über die Stadt verteilt sind“, so Stimpel weiter.

    Bezirk weitet Sperrgebiete für E-Scooter weiter aus

    Bezirksstadträtin Almut Neumann.
    Bezirksstadträtin Almut Neumann. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

    Almut Neumann (Grüne), Verkehrsstadträtin des Bezirks Mitte, sieht hier ebenfalls Handlungsbedarf: „Ich hoffe, dass wir, anders als Fuss e.V. befürchtet, nicht 14 Jahre benötigen.“ Mitte sei jedenfalls auf einem guten Weg. „Bisher haben wir einen Quadratkilometer Sperrgebiet in der historischen Mitte, in dem nur an zugelassenen Orten geparkt werden darf“, so Neumann. Kontrolliert werde das von Jelbi, wo sich die Anbieter akkreditieren lassen müssen. Das „Kontrollregime“ sei zwar noch nicht perfekt, zeige aber inzwischen Wirkung. Im November werde der Bezirk die Sperrzone daher deutlich ausweiten.

    Zudem, so die Stadträtin weiter, werde das Abstellen von E-Scootern und E-Rollern rund um den Berliner Hauptbahnhof reglementiert. Gemeinsam mit Jelbi richtet der Bezirk dort sechs Abstellflächen ein, die die Sharing-Angebote für E-Scooter, E-Bikes und E-Mopeds bündeln. Sie hoffe, dass andere Bezirke dem Vorbild von Mitte folgen. Denn ein Verbot der Verleih-Angebote wie in Paris sei nicht der richtige Weg.

    Das findet auch Fußgänger-Lobbyist Stimpel. Allerdings fordert er vom Berliner Senat ein entschiedeneres Vorgehen: „Die Verleiher und ihre Kunden verstoßen gegen viele Bedingungen, unter denen 2022 ihr Geschäft genehmigt wurde“, sagt er. Ende 2023 laufen die aktuelle Verleihgenehmigungen für die vier in Berlin tätigen Verleiher Lime, Bolt, Tier und Voi aus. „Das bietet zwei Chancen: regelbrechende Verleihfirmen aus der Stadt werfen – und dazu zählen alle vier. Und dann die Zahl der E-Scooter begrenzen“, so Stimpel.