Der Berliner Mieterverein (BMV) setzt sich seit der Gründung im Jahr 1888 für die Interessen der Mieterinnen und Mieter der Hauptstadt ein. Die Funke Mediengruppe sprach mit Geschäftsführerin Dr. Ulrike Hamann über die Serviceleistungen des BMV und die aktuellen Herausforderungen auf politischer Ebene.

Frau Dr. Hamann, zunächst zu Ihnen: Sie sind Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins. Für welche Bereiche sind Sie beim BMV zuständig?

Dr. Ulrike Hamann: Ich bin im dreiköpfigen Geschäftsführungsteam des BMV, die Aufgaben teile ich mir mit Sebastian Bartels und Wibke Werner. Als Sozialwissenschaftlerin schaue ich besonders auf Wohnraumbedarfe, die soziale Wohnraumversorgung, Neubau Wohnraumförderung und viele andere Bereiche in diesem Kontext.

Warum sollte ich als Mieter:in dem BMV beitreten?

Wir sind die größte Interessenvertretung der Berliner Mieterinnen und Mieter. Wir sind damit eine starke Stimme in Berlin, die wie eine Gewerkschaft für die Interessen ihrer Mitglieder kämpft. Die bekommen gegen einen Monatsbeitrag von 9 Euro eine juristische und politische Unterstützung, wenn es zu Auseinandersetzungen mit ihrem Vermieter kommt. Ihnen stehen über 80 Rechtsberater:innen in unseren Beratungsstellen in der gesamten Stadt zwischen Montag und Samstag von 9 bis 18:00 Uhr zur Verfügung. Darüber hinaus erhalten sie zehn Mal jährlich eine Zeitschrift, in der wir über die neuesten Entwicklungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt berichten.

Was sind die häufigsten Gründe, aus denen die Mitglieder in die Beratungen kommen?

Am häufigsten kommen sie nach Mieterhöhungen. Ich kann jedem nur raten, die entsprechenden Schreiben der Vermieter oder Hausverwaltungen überprüfen zu lassen, denn nicht alle sind rechtens. Aber auch Wohnungsmängel und Betriebskostenabrechnungen bilden einen wesentlichen Kern unserer Beratungen.

Dr. Ulrike Hamann ist Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins (BMV).
Dr. Ulrike Hamann ist Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins (BMV).

Worauf achten Sie besonders?

Oft finden wir formale Mängel. Es macht beispielsweise Sinn, die Anzahl der Quadratmeter mal nachzurechnen. Das machen unsere Rechtsanwälte auch routinemäßig. Dann hinterfragen sie die Gründe für eine Mieterhöhung. Sind sie stimmig? Wird das Maß eingehalten? Vermieter können die Miete innerhalb von drei Jahren maximal um 15 Prozent erhöhen. Wenn die Mieterhöhung darüber liegt, muss gekappt werden. Aber auch andere Mängel an der Mietsache wie kaputte Fahrstühle, Heizungen, Wasserschäden oder Schimmel sind häufige Gründe, weshalb Mitglieder zu uns in die Beratung kommen.

Was sehen Sie persönlich als größte Herausforderung des BMV?

Unsere – und speziell meine Aufgabe im BMV liegt darin, bezahlbaren Wohnraum zu bewahren und dafür zu sorgen, dass Wohnen in Berlin langfristig bezahlbar bleibt. Hier vertreten wir die Interessen unserer Mitglieder auf der politischen Ebene. Das größte Problem liegt darin, dass die Schere zwischen dem Gehaltsniveau und den Mieten immer weiter auseinandergeht. Berlin rangiert bundesweit mittlerweile auf Platz 2 der höchsten Angebotsmieten, aber abgeschlagen auf Platz 45 im Ranking der Einkommen. Wenn für die Miete samt Nebenkosten aber mehr als 40% des Einkommens bezahlt wird, droht eine Mietüberlastung. Bei den derzeitigen Mietpreisen wird die Miete schnell zum Armutsrisiko auch von mittleren Einkommen. Hier müssen gesetzliche Schutzmaßnahmen merklich verbessert werden.

Um welche Ziele der Interessengruppen handelt es sich?

Wir haben auf der einen Seite die großen, börsennotierten Wohnungsunternehmen, die vor allem ihre Anleger mit möglichst hohen Renditen versorgen müssen. Daher schrauben sie die Mieten so hoch, investieren jedoch nur eingeschränkt in die Instandhaltung des Wohnungsbestands. Kaputte Fahrstühle oder andere Mängel werden oft nicht beseitigt. Diese Rückmeldungen bekommen wir aus unseren Beratungszentren. Da wir so viele Mitglieder vertreten, ist der Einblick in die Vermietungspraktiken sehr realistisch und wir können daraus fundierte Erkenntnisse ableiten, die wir im öffentlichen Diskurs im Sinne unserer Mitglieder als Forderungen einbringen. Eine zentrale Botschaft lautet: Wohnen ist ein Grundrecht, und kein Luxusbedürfnis. Wohnungen sind also Teil der Grundversorgung und die Gewinnerwartungen mit Wohnraum müssen von einer verantwortungsvollen Regierung gedämpft werden.

Die neue Regierung setzt auf Neubau, um das Wohnungsproblem zu lösen. Ist das nicht in ihrem Sinne?

Wir haben in Berlin aus drei Gründen zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Erstens weil einstmals geförderte Wohnungen ihre Sozialbindungen verlieren zweitens, weil alle Regulierungsversuche wie die Mietpreisbremse zu schwach sind und hintergangen werden und drittens, weil preiswerte Wohnungen abgerissen werden, um Platz für teuren Neubau zu machen. Solcher Neubau kann diese Probleme nicht lösen. Und schauen wir genau hin und rechnen nach, was gebaut wird, bleiben wir skeptisch. Das, was an Neubauwohnungen entsteht, deckt bei weitem nicht den aktuellen Bedarf an bezahlbarem Wohnraum. Diese Art von Wohnungen sind eher im Luxussegment angesiedelt. Es sind also Projekte, die sich für Investoren lohnen. Um dazu noch für den eigentlichen Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum die private Wohnungswirtschaft zu motivieren, hat der Berliner Senat in den letzten 2 Jahren zweimal neue Förderrichtlinien aufgelegt. Hierfür werden Steuergelder der Wohnungswirtschaft gegeben, damit sie ihre Finanzierungskosten bezahlen kann. Dabei wurden die sozialen Anforderungen immer weiter heruntergeschraubt. Inzwischen gelten sogar Wohnungen mit Einstiegsmieten von 11,50€ nettokalt/qm als Sozialwohnungen. Wir finden diese Entwicklungen aus zwei Gründen problematisch, weil 1. die Finanzierungs-Risiken von den Wohnungseigentümern durch die Allgemeinheit getragen werden und 2. die Wohnungen schon nach 30 Jahren nicht mehr sozial gebunden sind und wir wieder in das gleiche Dilemma wie jetzt rutschen.

Viel besser als mit der Förderung die verrückten Marktbedingungen mitzumachen, wäre es, alles dafür zu tun, die Bestandsmieten niedrig zu halten und Fördergelder nur für dauerhaft gebundenen Wohnraum, z. B. errichtet durch Landeseigene Unternehmen auszugeben. Die private Wohnungswirtschaft trägt schon seit Jahren kaum zur Problemlösung bei. Das ist kein Vorwurf, sondern Teil eben des Geschäftsmodells. Und mit Blick auf Ressourcenschonung und das Klima ist statt Abriss oder Neubau auf der freien Fläche die Umnutzung von Gebäuden viel stärker zu fördern. So können ehemalige leerstehende Gewerbegebäude für Wohnraum umgebaut werden. Wir brauchen eine neue Umbaukultur.

Der BMV hat ja auch den Volksentscheid zur Vergesellschaftung von großen privaten Wohnungsunternehmen von 2021 unterstützt. Wie geht es hier weiter?

Bei dem Volksentscheid von 2021 haben knapp 60 Prozent der Berliner Wahlberechtigten eine Vergesellschaftung von Wohnraum nach Art. 15 des Grundgesetzes befürwortet. Nachdem eine Expertenkommission über ein Jahr hinweg die Verfassungsmäßigkeit des Vorschlags geprüft hat, steht jetzt fest: Es gibt keine milderen Mittel als die Vergesellschaftung der großen Wohnungsunternehmen, um für eine Entspannung auf dem Berliner Mietmarkt zu sorgen. Die Stadt hat bereits alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft, um die Mieten begrenzt zu halten.

Was heißt das konkret?

Der Bestand von privaten Wohnungsunternehmen über 3.000 Wohnungen wird vergesellschaftet. Das ist ein Unterschied zur Enteignung nach Art. 14 Grundgesetz und kann zu einem wesentlich niedrigeren Entschädigungspreis geschehen. Die Berliner Regierung ist jetzt gefordert, den Willen der Mehrheit umzusetzen und ihr ist gut geraten, dabei die Empfehlungen der unabhängigen Expertenkommission zu nutzen. Anders als bei einem Auftragsgutachten haben in der Kommission nämlich Juristen und Juristinnen gemeinsam mit Wirtschaftsexperten die Fragestellung ehrenamtlich beleuchtet. Das gibt der Expertenkommission ein anderes Gewicht als jedes beauftragte Gutachten.

Welche Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt sehen Sie noch kritisch?

Sorge macht uns aktuell der soziale Wohnungsmarkt. Im Jahr 2012 gab es noch 140.000 Sozialwohnungen in Berlin, jetzt liegt der Bestand bei 88.000. In den kommenden zwei Jahren gehen uns 50.000 Bindungen aus verschiedenen Förderprogrammen verloren.

Was genau bedeutet das für die Mieterinnen und Mieter?

Nach 30 Jahren entfallen für die Eigentümer die Sozialbindungen. Sie haben in den 1970er, 80er und 90er-Jahren Fördergelder zum Beispiel für die Sanierung von Altbauten erhalten und sich im Gegenzug verpflichtet, die Mieten nicht zu erhöhen. Jetzt können die Eigentümer mit den Wohnungen verfahren, wie sie möchten – also entweder verkaufen oder die Miete erhöhen. Die Menschen machen sich zu Recht große Sorgen, ob Eigenbedarf auf sie zukommt.

Wie werden Sie hier als Interessenverband ihrer Mitglieder aktiv?

Wir erkennen und benennen das Problem und suchen nach Lösungen, sowohl mit Fachleuten aus der Branche als auch auf politischer Ebene. Und wir bieten natürlich allen Initiativen, die sich hier bilden und dagegen vorgehen wollen, unsere Unterstützung an.

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